Wien-Museum widmet sich Haus-Besetzungen
„Wir hatten die Vorstellung von einer neuen Gesellschaft, von einem solidarischen Zusammenleben“, sagte Ingrid Karl, eine ehemalige Arena-Besetzerin, gegenüber wien.ORF.at. Die 100-tägige Arena-Einnahme im Sommer 1976 gab den Anstoß zu einer Serie von Hausbesetzungen und eröffnete eine Debatte über die Nutzung des öffentlichen Raumes.
Robert Newald Photographie
Forderung nach Selbstbestimmung „nicht gelöst“
„Die Forderungen, die damals gestellt wurden, halten wir heute nicht für gelöst“, sagte Werner Michael Schwarz, einer der Ausstellungskuratoren, zu wien.ORF.at. Hinter den damaligen Hausbesetzungen steckte der Wunsch der Aktivisten den öffentlichen Raum für sich nutzen zu können.
Debatte: Kriminelle oder „Robin Hoods“?
Die Besetzer wollten auf die Wohnungsnot aufgrund hoher Mietpreise aufmerksam machen und alternative Lebensstile wie homosexuelle Beziehungen und kreative Wohngemeinschaften öffentlich thematisieren, so Schwarz. Diese Probleme sollten wieder im Rahmen der Ausstellung zum Thema gemacht werden.
Arena-Besetzung 1976 als großes Thema
100 Tage dauerte die damalige Besetzung des ehemaligen Auslandsschlachthofes St. Marx. Damit protestierten erstmals einige 100 Besetzer gegen die Bau- und Wohnpolitik der Stadt. Sie fragten: Wem gehört die Stadt? Und wer bestimmt, was mit dem öffentlichen Raum passiert? Im Oktober 1976 wurde die „alte“ Arena freiwillig geräumt. Das Areal war von der Stadt Wien der Textilkette Schöps versprochen worden und sollte umgebaut werden.
Heinz Riedler / Sammlung Wien Museum
Vor der Räumung war die alte Arena ein Veranstaltungsort für Musiker und Künstler gewesen. Im Sommer 1977 wurde der benachbarte Inlandsschlachthof St. Marx umgebaut und ist seither als „neue“ Arena ein Aktionsraum der Wiener Jugendszenen. „Die Arena-Besetzung war eine ganz wichtige Entwicklung, was die Emanzipation der Bürger betrifft“, so die ehemalige Hausbesetzerin Karl.
Proteste in ganz Wien und Besetzung im Amerlinghaus
Ende der 1970er kam es auch im abgewohnten Spittelberg-Viertel zu Protesten. Die Stadt Wien plante Sanierungen und eine Aufwertung der Gegend durch den Abriss zahlreicher alter Häuser. Eine Gruppe von Architekten, Aktivisten und Intellektuellen besetzte das Amerlinghaus und verhinderten so den Abriss. Im Sommer 1978 wurde das Haus zum ersten selbst-verwalteten Kulturzentrum der Stadt.
Karl Heinz Koller / Sammlung Wien Museum
Die Proteste verschärften sich zu Beginn der 80er-Jahre als eine Gruppe von Jugendlichen „Rasenfreiheit“ im Burggarten forderte - es folgten weitere Hausbesetzungen. Zu dieser Zeit kam es auch in anderen europäischen Hauptstädten, wie beispielsweise Zürich, zu Jugendkrawallen und Besetzungen. Die Stadt Wien reagierte auf die Forderungen und eröffnete das WUK am Alsergrund - ein autonomes Jugendzentrum mit Werkstätten und frei nutzbaren Kulturräumen.
Auch das Szene-Lokal „Flex“ sei in Folge einer Hausbesetzung entstanden, erzählte Martina Nußbaumer, die Kuratorin der Ausstellung „Besetzt“. Es entstand als Nachfolger eines geräumten Lokals in einem besetzten Haus in der Aegidigasse.
Sendungshinweis
„Wien heute“, 12. April 2012
Neben der Ausstellung im Wien Museum, veranstalten die Organisatoren Führungen und Diskussionen mit ehemaligen Aktivisten. Die damaligen Arena-Besetzer Ingrid Karl und Dietmar Steiner begleiten eine Führung durch die heutige Arena und erzählen vor Ort von der legendären Besetzung. Das Museum veranstaltet am 6. Juli sogar einen Hausbesetzer-Rundgang durch Mariahilf und Neubau zu den damaligen Brennpunkten.
Letzte Hausbesetzung im November 2011
Die letzten Hausbesetzungen mit öffentlichem Echo fanden übrigens im Herbst 2011 in Wien statt. Damals nahmen 30 Aktivisten ein Haus in der Lindengasse und später in der Westbahnstraße in Beschlag - erneut mit der Forderung um mehr freie, öffentliche Räume. Beide Häuser wurden damals von der Polizei gewaltfrei geräumt. Mehr dazu in - Erneut Hausbesetzung in Neubau.
Links:
- Der Mehrwert der Hausbesetzer (science.ORF.at; 10.4.2012)
- „Besetzt“ im Wien Museum
- Arena Wien
- Amerlinghaus