Saul Leiter: Pionier der Farbfotografie

Beschlagene Scheiben, Regenschirme, Autos und das Treiben der Straße: Diese Motive bevorzugte der US-Maler und Fotograf Saul Leiter und hielt sie gegen alle damaligen Trends in Farbe fest. Das Kunsthaus würdigt ihn derzeit in einer Retrospektive.

Weit vor den Vertretern der „New American Color Photography“ - also jener Gruppe von Fotografen, die in den späten 1960er- und 1970er-Jahren Farbe bewusst als künstlerisches Ausdrucksmittel verwendeten - hielt der amerikanische Fotograf Saul Leiter seine Motive in Farbe fest.

„Alle etablierten Fotografen fanden Farbe ordinär. Saul Leiter war das egal, er kommt aus der Malerei und hat deswegen auch mit Farbfilmen fotografiert“, erzählte Gastkuratorin Brigitte Woischnik gegenüber wien.ORF.at. Seine Unangepasstheit machte ihn so zum Pionier der Farbfotografie.

Retrospektive des Malers und Fotografen

Das Kunsthaus Wien würdigt den 89-jährigen Fotografen und Maler Saul Leiter nun in einer Retrospektive, die in Zusammenarbeit mit dem Haus der Photographie in den Hamburger Deichtorhallen entstanden ist. Mehrheitlich Farbaufnahmen, Schwarz-weiß-Fotografie, übermalte Aktfotos, Skizzenbücher und Aquarelle dokumentieren mehr als sechs Jahrzehnte seines künstlerischen Schaffens. Ein großer Teil der Ausstellung wird sich auch seinen Modefotografien widmen.

Taxi, ca. 1957

Saul Leiter, Howard Greenberg Gallery New York

Alltagsszenen aus New York: Saul Leiters „Taxi“ aus dem Jahr 1957

Flüchtige Momente im Großstadt-Alltag

Alltägliches, Banales und Unspektakuläres, das oft übersehen wird, zählt für Saul Leiter. Es sind Spiegelungen in einer großen Pfütze, vom Regen beschlagene Fensterscheiben, Passanten im Schneetreiben, flüchtige Momente im hektischen Alltag der Großstadt New York. „Saul Leiter ist ein sehr geduldiger Mensch. Am Morgen geht er aus dem Haus, flaniert durch sein Viertel und macht den ganzen Tag über zufällige Aufnahmen“, so Woischnik. Auch auf seinen jüngsten Fotografien diente ihm das Leben auf der Straße und seinem Viertel East Village als Motiv.

Eines seiner beliebtesten Motive neben Autos, Ampeln und Passanten ist der Regenschirm, wie auf „Red Umbrella“ (ca. 1958): Ein Passant mit rotem Regenschirm eilt vorbei - Leiter saß vermutlich in einem Auto und knipste durch die Scheibe.

Anstelle von Gesichtern erkennt man oft nur die Silhouetten fremder Menschen. Doch auch diese sieht man lediglich verschwommen, unscharf oder schemenhaft. Wie ein diffuser Nebel legen sich die verwaschenen Farben auf die Bilder - ein Resultat der abgelaufenen Filmen. „Farbfilme waren damals sehr teuer, deshalb hat er zu Beginn mit abgelaufenen Filmen fotografiert. Er war aber auch immer sehr neugierig und experimentierfreudig“, erzählte Woischnik.

Fotostrecke von Saul Leiter

Lieber Maler statt Rabbiner

Saul Leiter, geboren 1923 in Pittsburgh, begann schon früh, sich für Kunst zu interessieren. Als Teenager in den 1940er-Jahren fing er an zu malen, was den Vorstellungen seiner Eltern jedoch widersprach. Sein Vater war ein talmudischer Rabbiner und Gelehrter und hegte die Hoffnung, dass sein Sohn ihm nachfolgen würde.

Ausstellungshinweis:

Saul Leiter, Kunsthaus Wien, 31. Jänner bis 26. Mai, Täglich 10.00 bis 19.00 Uhr, Eintritt 10 Euro

Doch Leiter las lieber Kunstbücher und wollte Maler werden: „Er hatte nie eine akademische Ausbildung genossen, sondern sich selbst alles beigebracht“, so Woischnik.

Vom Mode- zum Straßenfotograf

1946 zog es ihn nach New York, wo er den Künstler Richard Pousse-Dart kennenlernte. Eine Ausstellung von Henri Cartier-Bresson im Museum of Modern Art hinterließ bei ihm einen bleibenden Eindruck: Selbst zu fotografieren und davon zu leben, war sein Wunsch. Er fing als Modefotograf an, in den 1950er-Jahren veröffentlichte das „Life“-Magazin erste Schwarz-weiß-Serien von ihm.

Drei Jahre später zeigte das MoMA zwar zahlreiche Arbeiten von Leiter in der Ausstellung „Always the Young Stranger“, doch der große Erfolg ließ auf sich warten. „Saul Leiter wurde lange Zeit ignoriert, es machte ihm jedoch nichts aus“, so Woischnik. Die darauf folgenden zwanzig Jahre wurden seine Fotos unter anderem im „Esquire“, „Harper’s“, „Show“, „Elle“, „British Vogue“, „Queen“ und „Nova“ veröffentlicht. „Irgendwann kamen von den Magazinen keine Aufträge mehr und er begann, die Menschen in seinem Viertel zu fotografieren“, sagte Woischnik.

Saul Leiter

Margit Erb

Eine der wenigen Aufnahmen von Saul Leiter: Er meidet es, fotografiert zu werden

Spätentdeckter Wegbereiter

Neben seinen beeindruckenden Alltagsfotografien belegen Skizzenbücher und Arbeiten auf Papier auch das malerische Talent von Saul Leiter. Er hat sich immer als Maler und Fotograf verstanden: „Sein Auge für die Farben in der Malerei schlägt sich in seinen Fotografien nieder“, so Woischnik. Leiter malte sowohl abstrakt als auch figurativ, was man in einem eigenen Bereich in der Ausstellung sehen kann.

„Er hat sich jedoch nie bemüht seine Arbeiten auszustellen, da er es sich gar nicht vorstellen konnte, dass es ein künstlerisches Interesse an seinen Fotografien und Bildern gab“, so Woischnik.

Erst in den vergangenen 20 Jahren wurde Saul Leiter die nötige Aufmerksamkeit zuteil. Unter anderem eine Ausstellung im Londoner Victoria and Albert Museum 1991 sowie die Präsentation seines Werks in der renommierten New Yorker Howard Greenberg Gallery (1997 und 2005) sorgten dafür, dass er heute als einer der wichtigsten Vertreter der amerikanischen Gegenwartsfotografie wahrgenommen wird.

Michel Ortner, wien.ORF.at

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