Brutale Methoden an Psychiatrie

Für die umstrittenen Methoden der Wiener Psychiatrie in den 1960er Jahren gibt es schriftliche Belege. Neben Infektionen mit Malaria werden darin auch Elektroschocktherapien geschildert und Insulinschocks, durch die psychisch kranke Patienten sogar ins Koma versetzt wurden.

Die bisher bekannte und kritisierte Infektion mit Malaria wird in einem damals unter Studenten der Wiener Uni verkauften Psychiatrie-Skriptum erwähnt. Aus heutiger Sicht wirkt es wie eine Anleitung zur Folter, was in den Ö1 vorliegenden Skriptenteilen steht. Zwei bis drei Elektroschocks an den Schläfen werden als „Therapie der Wahl“ vorgeschlagen, wenn manisch-depressive Patienten in der Depression sind. Dann der Hinweis: Die Schock-Angst der Patienten sei groß und der E-Schock nicht sehr ästhetisch, aber der Erfolg ein schlagender.

Gefahr von Knochenbrüchen

Die Psychologin Rotraut Erhard sah als Praktikantin Elektroschocks an der „Klinik Hoff“ und ist heute noch entsetzt: „Die Leute haben die Ärzte vorher angefleht, dass sie keine Schocks bekommen. Und wenn sie diesen elektrischen Schlag bekommen haben, hat sich der Körper aufgebäumt, wie man es normalerweise nicht sieht, wie das Menschen normalerweise nicht tun. Und sie haben ganz schrecklich geschrien.“ Der Psychiater Ernst Berger sagte, es habe auch die Gefahr von Knochenbrüchen bestanden - durch die Muskelkontraktionen bei Elektroschocks.

Durch Insulinschock ins Koma

Nicht minder dramatisch lesen sich in dem Skriptum zur Vorlesung des Psychiaters Hans Hoff die Anleitungen zur Insulinschocktherapie. Zitat: „Man lässt den Patienten eine halbe Stunde im Koma“, und zwar durch Insulinverabreichung und eine dadurch erreichte Senkung des Blutzuckerspiegels bei paranoid schizophrenen Patienten. Auch Insulinkuren mit E-Schock kombiniert wurden gelehrt. Zitat: „Man bekommt den Patienten bisweilen mit Zucker nicht aus der Bewusstlosigkeit.“ Man musste diese etwa durch Intubation und Beatmung bekämpfen.

Dabei dürften die Insulinschocks wirkungslos gewesen sein. „Als dann in der zweiten Hälfte der 50er Jahre in wissenschaftlichen Arbeiten die Wirkungslosigkeit nachgewiesen wurde, hat man auf den Insulinschock zunehmend verzichtet“, so Psychiater Berger. Doch das Skriptum wurde jedenfalls noch Mitte der 1960er Jahre verkauft.

Mangel an wirksamen Therapien

Geboren waren die Schocktherapien wohl aus der Not, meinte Berger sinngemäß. Mangels nachweislich wirksamer Methoden habe man solche angewandt, von denen man hoffte, dass sie wirken. Zum erhofften Wirkmechanismus erklärt der Psychiater, „dass eine Erinnerungslücke ausgelöst wird und dass die der Wirkmechanismus sein könnte, der die psychische Erkrankung dann beeinflusst und verbessert“.

Zwar gab es in den 1960er Jahren auch schon Psychopharmaka, auch sie werden in dem Skriptum erwähnt, im Vergleich zu heute waren das aber nur wenige Medikamente, sagte Berger. Dass Schocktherapien und auch die Infektion mit Malaria großteils aus Sadismus oder als Strafe angewandt wurden, glaubt er nicht - im Einzelfall sei das freilich nicht auszuschließen.

Kommission zeigt Interesse an Unterlagen

Neben dem Vorlesungsskriptum ist auch die Krankenakte eines damaligen Patienten aufgetaucht. Diese zeigt das Auf und Ab der Fieberkurve des damals 17-jährigen Patienten Peter Schleicher, berichtete der „Kurier“. Nach der gezielten Infektion mit Malaria pendelte das Fieber 37,5 und knapp 41 Grad.

Für diese neu aufgetauchten schriftlichen Unterlagen interessiert sich nun die von der Medizin-Uni eingesetzte Historiker-Kommission unter dem Vorsitz von Gernot Heiss. „Das ist sehr relevant für unsere Kommission. Weil die Behandlungspraktiken u ihre Disposition in der wissenschaftlichen Literatur in den Skripten in unserem Fokus liegt“, so Heiß gegenüber Ö1. Die Kommission soll klären, ob die jeweilige Methode aus damaliger Sicht noch zu rechtfertigen, oder „schon grob veraltet war und nur noch aus Traditionsgründen angewandt wurde“, so Heiss - mehr dazu in Kommission nimmt Arbeit auf (wien.ORF.at; 6.3.2012).

Bernt Koschuh, Ö1-Radio

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