Disziplinargericht unter Beschuss

Schwere Vorwürfe erhebt die Stadtzeitung „Falter“ gegen die Disziplinaroberkommission im Bundeskanzleramt (BKA). Polizisten würden trotz schwerster Verfehlungen im Dienst belassen. Aus dem Ministerium heißt es, die Kommission sei ein Auslaufmodell.

„Die barmherzigen Brüder“ steht als Titel über dem Artikel des „Falter“. Gemeint ist damit die Disziplinaroberkommission des Bundeskanzleramts, der Titel werde auch bei der Polizei und im Innenministerium für die Kommission verwendet. Von einem „verschwiegenen, richterlichen Tribunal“ ist die Rede, das „offenbar völlig entgleist“ sei, so der „Falter“. Deutlich werde dies an einigen Entscheidungen der Kommission, die der Stadtzeitung „zur Kenntnis gebracht“ wurden.

„Beschämender Irrsinn“ im Fall Bakary J.

Als ausführliches Beispiel zitiert der „Falter“ den Fall Bakary J. Der Schubhäftling widersetzte sich 2006 seiner Abschiebung, wurde schwerst misshandelt. Die Beamten leugneten, legten erst in letzter Sekunde „ein reumütiges Geständnis“ ab. Der Richter erteilte eine Bewährungsstrafe, der Staatsanwalt verzichtete auf Rechtsmittel. Zwei der Beamten versehen demnach immer noch Dienst bei der Polizei, zwei Beamte sind „mit einer stattlichen Beamtenpension“ in Frühpension, einer davon arbeite nebenbei für einen privaten Sicherheitsdienst.

Der „Falter“ zitiert den Bescheid der Kommission zum Fall Bakary J., in dem begründet wird, warum die Beamten noch immer Dienst versehen dürfen. Die Beamten seien „nicht von gewalttätiger Natur“, heißt es darin, hätten nach der Tat „dienstliches Wohlverhalten“ gezeigt, vor der Folter sei „tadelloses Dienstverhalten“ dokumentiert, sie seien „unbescholtene (...) und sehr verlässliche Beamte mit langjähriger Diensterfahrung“ gewesen.

„Dass sie dem Mann die Schädelknochen zertrümmerten, ihn mit dem Auto anfuhren, ihn schlugen und traten, das sei auch mit einem ‚gewichtigen Milderungsgrund‘ zu belohnen. Die Beamten hätten sich bei der Folter nämlich in einer ‚allgemein begreiflichen heftigen Gemütsbewegung zur Tat hinreißen lassen‘“, zitiert der „Falter“ weiter. - Ein hoher Ministerialbeamter spricht von „beschämendem Irrsinn“.

Entlassungen mussten für rechtswidrig erklärt werden

Was das Strafausmaß für die Beamten betrifft, werde es noch unheimlicher, so der „Falter“. In erster Instanz vor der Disziplinarbehörde des Innenministeriums seien die Beamten skandalöserweise nur zu Geldstrafen in der Höhe von fünf Monatslöhnen verurteilt worden. Die Wiener Polizeichefs seien empört über das Fehlurteil gewesen. Berufung sei eingelegt worden. Die „barmherzigen Brüder“ hätten dann aber die ohnedies schon milden Geldstrafen bei drei der vier Beamten noch weiter herabgesetzt.

Dass die Polizisten nicht entlassen wurden, scheiterte laut „Falter“ daran, dass „dem gnädigen Tribunal ein dummer Formalfehler“ passierte: Es sei nicht ordnungsgemäß zusammengesetzt gewesen, als es um die Entlassungen ging. Die Polizisten konnten so ihre Entlassung vor dem Verwaltungsgerichtshof erfolgreich beeinspruchen. Die Entlassungen, die die „barmherzigen Brüder“ auszusprechen gehabt hätten, mussten dann für rechtswidrig erklärt werden.

Kinderpornos kein Entlassungsgrund

In einem anderen Fall geht es um einen Polizisten, der laut „Falter“ mehr als 1.100 Kinderpornofotos und ein Sexvideo mit Unmündigen auf seinem Computer gespeichert hatte. Der Polizist habe gegen seine Entlassung bei der Disziplinarkommission im Bundeskanzleramt berufen. Und diese habe dann wieder „ihre notorische Milde“ walten lassen: Die Entlassung sei in diesem Fall „nicht ausreichend begründet“, mit einer Geldstrafe in Höhe von fünf Monatsgehältern sei es auch getan. Der Polizist versieht wieder Dienst.

„Kommission mit 1.1.2014 Geschichte“

„Vorsätzliche schwere Körperverletzung und Kinderpornografie sind unerträgliche Delikte, sie haben im öffentlichen Dienst nichts verloren. Wir professionalisieren die Verwaltungsgerichtsbarkeit, bis dahin lautet die Devise: Kontrolle durch mehr Transparenz und Verschärfung des Disziplinarrechts", so Gabriele Heinisch-Hosek, Bundesministerin für Frauen und öffentlichen Dienst.

In einer schriftlichen Stellungnahme hieß es weiters, die Disziplinar-Oberkommission sei eine weisungsfreie und unabhängige Behörde – vergleichbar mit einem Gericht. Es gebe keine Möglichkeit, in Entscheidungen der Kommission einzuwirken. Allerdings seien Kommissionen wie diese ein Auslaufmodell. Im Rahmen einer Reform würden diese Kommissionen gänzlich abschafft. Mit 1.1.2014 ist somit auch die Disziplinar-Oberkommission Geschichte. An ihre Stelle treten dann professionelle RichterInnen.

Das Bundeskanzleramt verwies zudem auf die letzte Dienstrechtsnovelle. Demnach sind seit 1.1.2012 die Verfahren öffentlich zugänglich, und jede Entscheidung der Kommission muss auch im Internet veröffentlicht werden. Die Ministerin wird außerdem einen Katalog an Strafdelikten im Dienstrecht definieren, der zu einem automatischen Amtsverlust führt – also vorsätzliche schwere Körperverletzung, Sexualstrafdelikte und Gewaltdelikte. Damit würden Entlassungsgründe verschärft und der Spielraum der Kommission eingeengt.

Amnesty International entsetzt

Schwere Kritik an der Disziplinaroberkommission übte auch Amnesty International (AI). Solange es bei der Polizei nicht ein „modernes, menschenrecht-fokussiertes Disziplinarrecht gibt, das schwere Menschenrechtsverletzungen von Polizisten auch angemessen sanktioniert, wird das große Projekt ‚Polizei.Macht.Menschen.Rechte‘ immer Stückwerk bleiben müssen“, hieß es.

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