Beschneidungs-Debatte geht weiter

Das Beschneidungsverbot sei wie die „Vernichtung der Juden“: Mit diesem Vergleich hat Ariel Muzicant, Ehrenpräsident der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG), aufhorchen lassen. In Wien sieht man die Debatte weiterhin recht gelassen.

Ariel Muzicant

APA/Hans Klaus Techt

Muzicant lässt aufhorchen

Muzicant fand bisher die wohl härtesten Worte in der von Deutschland nach Österreich übergeschwappten Beschneidungsdebatte. Das Verbot der rituellen Beschneidung von Buben „wäre dem Versuch einer neuerlichen Shoah, einer Vernichtung des jüdischen Volkes, gleichzusetzen - nur diesmal mit geistigen Mitteln“, so Muzicant in der „Kleinen Zeitung“ - mehr dazu in religion.ORF.at.

Muzicants Nachfolger als Präsident der IKGW, Oskar Deutsch, zeigte sich jedenfalls verwundert über die österreichische Diskussion, da die Rechtslage in Österreich geklärt sei. Fuat Sanac, Präsident der Islamischen Glaubensgemeinschaft (IGGiÖ) bezeichnete die Debatte überhaupt als „scheinheilig“ - mehr dazu in Sanac: Beschneidungsdebatte „scheinheilig“.

Kein Konsens bei Beschneidungsfrage

Als „rhetorisches Armutszeugnis“ wertete allerdings Eytan Reif von der „Initiative Religion ist Privatsache“ den Vergleich von Muzicant. Er instrumentalisiere damit den Holocaust für den Zweck der Legitimierung einer religiös motivierten physischen sowie psychischen Körperverletzung von Babys. „Selbst in Israel, dem einzigen jüdischen Staat der Welt, werden die Stimmen der Beschneidungsgegner zunehmend hörbar. Egal ob es nun Herrn Muzicant gefällt oder nicht: es gibt keinen absoluten jüdischen Beschneidungskonsens“, so Reif.

Reif warnte jedoch auch vor der Gefahr der populistischen bzw. menschenfeindlichen Instrumentalisierung der gegenwärtigen Debatte. Es gebe zahlreiche „Diskussionstrittbrettfahrer, deren politische Motivation, sich nun wortgewaltig für Menschenrechte einzusetzen, ernsthaft hinterfragt werden sollte“.

Stadt sieht keinen Handlungsbedarf

Gelassener ist man bei der Stadt Wien. In Wien würden aus religiösen Gründen pro Jahr rund 15 Beschneidungen durchgeführt, wie es aus dem Büro von Gesundheitsstadträtin Sonja Wehsely (SPÖ) hieß. Einen Anlass, diese Eingriffe zu verbieten, sieht man nicht, wie betont wurde. Für die Zulässigkeit seien das Gesundheits- und das Justizministerium zuständig. Dass es dort entsprechende Bedenken gebe, sei nicht bekannt.

Auch beim Wiener Krankenanstaltenverbund (KAV) sieht man keinen Handlungsbedarf. 99 Prozent der Beschneidungen seien sowieso medizinisch erforderlich, nur ein Prozent finde auf Wunsch statt. In diesen wenigen Fällen müssten an die 300 Euro bezahlt werden. Es sei zudem besser, wenn die Beschneidung unter sterilen Bedingungen unter Narkose stattfinde als „unsteril am Küchentisch“, so Susanne Drapalik vom KAV gegenüber der ORF-Sendung „Wien heute“.

Ärztekammer: Gewissensentscheidung jedes Arztes

Die Ärztekammer verwies darauf, dass kein Arzt verpflichtet sei, eine medizinisch nicht erforderliche Beschneidung an Buben vorzunehmen. „Das ist eine Entscheidung, die jede Ärztin, jeder Arzt auf der Basis ihres bzw. seines eigenen Gewissens zu treffen hat“, stellte der Vizepräsident der Ärztekammer und Obmann der niedergelassenen Ärzte, Johannes Steinhart, in einer Stellungnahme fest.

Aus medizinischer Sicht handle es sich um einen „kleinen, in der Regel unkomplizierten Eingriff. Ungeachtet dessen stellt aber auch die Beschneidung - wie grundsätzlich jeder invasive Eingriff - eine Körperverletzung dar.“ Vor der Operation eines Erwachsenen sei daher dessen Einwilligung einzuholen, bei Kindern jene der Erziehungsberechtigten, erläuterte Steinhart.

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