„Augustin“: „Aufnahmestopp bei Verkäufern“

„Der Straßenzeitungsverkauf in Wien ist ausgeschöpft“, so Eva Rohrmoser von der Straßenzeitung „Augustin“. Im Gespräch mit wien.ORF.at erzählt sie, warum der Verein am Limit steht und keine neuen Verkäufer aufnehmen kann.

Rund 500 Menschen verkaufen auf Wiens Straßen offiziell die Straßenzeitung „Augustin“. Die Gesamtauflage ging in den vergangenen Jahren von 30.000 auf 25.000 zurück. Sozialarbeiterin Eva Rohrmoser erzählt im Interview mit wien.ORF.at, warum es nicht nur wichtig ist, den Verkäufern Geld zu geben, sondern auch die Zeitung mitzunehmen, warum der „Augustin“-Verein „Sand & Zeit“ zum „Salzamt“ wurde und warum Straßenzeitungen alleine das Armutsproblem nicht lösen.

Eva Rohrmoser

ORF/ Florian Kobler

Sozialarbeiterin Eva Rohrmoser: "Wenn jemand lästig ist, kann ich auch respektvoll bleiben und sagen „Danke, nein.“

wien.ORF.at: Werden neue „Augustin“-Verkäufer aufgenommen?

Eva Rohrmoser: Nein, 500 Leute sind einfach so viele auf der Straße. Da wäre jede Neuaufnahme nur ein Verteilen des Einkommens bei den Ärmsten. Denn jeder zusätzliche Verkäufer nimmt einem anderen etwas weg. Die Nachfrage ist sehr groß. Ich bin überzeugt, dass Wien in jedem Fall noch an die 200 Plätze bräuchte, doch ich glaube, dass der Straßenzeitungsverkauf ausgeschöpft ist. Es gibt ja neben dem „Augustin“ auch noch den The Global Player, das MO (Magazin für Menschenrechte), Uhudla und inzwischen auch „We The People.“

wien.ORF.at: Welche Schwierigkeit sehen Sie bei den anderen Straßenzeitungen?

Rohrmoser: Der Hund daran ist, dass diese Straßenzeitungen zum Teil einen sehr unregelmäßigen Erscheinungsrhythmus haben oder jedenfalls einen sehr viel längeren als der vierzehntägig erscheinende „Augustin“. Das MO erscheint alle drei Monate und mit dem lässt sich ein Überleben nicht sichern, weil man immer mit einer ganz alten Zeitung unterwegs ist. In kürzester Zeit hat man seine Leser abgedeckt.

Das Publikum lässt sich nicht endlos erweitern. Darum braucht es niederschwellige Einkunftsmöglichkeiten, die nicht unbedingt im Straßenverkauf liegen - kleine Dinge, die man ungelernt tun kann. Aber das ist für uns alleine aufgrund der Personalressourcen nicht administrierbar.

wien.ORF.at: Wie ist die derzeitige Situation beim „Augustin“?

Rohrmoser: Es ist nach wie vor ein leichter Auflagenrückgang zu verzeichnen. Seit Juni 2012 sichern uns 330 Lieberhaberinnen ab und das ist wirklich gut und notwendig. Die unterstützen uns mit 25 Euro pro Monat. Und wenn wir jetzt an kleinen Schrauben drehen und wieder bei 30.000 verkauften Zeitungen sind, können wir wieder auf eigenen Füßen stehen. Das wär so das Ziel.

wien.ORF.at: Ist es vorstellbar, dass „Augustin“-Verkäufer künftig noch mehr Produkte anbieten?

Rohrmoser: Nein, wir sind mit Zeitung und Kalender und CD und Bücher von unseren Autoren ausgestattet. Das ist eh schon ein Bauchladen. Es kommt ja dazu, dass das alles ein Gewicht hat. Man kann die Verkäufer nicht anpackeln. Viele sind ganz schlecht zu Fuß unterwegs. Da zählt jedes Gramm. Und wir sind vermutlich eine der wenigen Zeitungen, die nicht dicker werden darf. Wir haben unser Maß mit 56 Seiten erreicht.

Augustin-Verkäufer in der U-Station Schottentor

ORF

„Augustin“-Verkäufer Osariemen Sunday in der Schottentor-Passage. Durchschnittlich verkauft jeder Verkäufer 40 Zeitungen pro Ausgabe

wien.ORF.at: Wo und wie dürfen „Augustin“-Verkäufer verkaufen?

Rohrmoser: Im Grunde dürfen sie überall in Wien und zu jeder Tages- und Nachtzeit verkaufen. Es gibt nur die Regelung mit den Wiener Linien, dass sie nur bis zum Entwerter verkaufen dürfen, bei den ÖBB nur in der Kassenhalle und bei den Wirten ist es eh klar, dass sie das Personal fragen müssen, ob sie durchgehen dürfen.

wien.ORF.at: Welches Image hat der „Augustin“ bei den Wienern?

Rohrmoser: Ich glaube, dass wir nach wie vor ein sehr gutes Image haben. Das kommt daher, dass sich registrierte Verkäufer zu 95 Prozent total okay verhalten. Hin und wieder gibt es einmal jemanden, der betrunken ist, aber das kann passieren und wir können, wenn wir eine Rückmeldung haben, mit ihnen reden. Es gibt zwischen den Verkäufern und Sozialarbeitern eine Beziehung, wo man diese Dinge klären kann.

wien.ORF.at: Warum bekommt der „Augustin“ viele Beschwerden?

Rohrmoser: Was für den „Augustin“ schwierig ist und auch imagemäßig Spuren hinterlässt, sind nichtregistrierte Verkäufer, die das Regelwerk des „Augustin“ nicht kennen und sich mit uns auch nicht verbunden fühlen. Aber auf die können wir einfach überhaupt nicht einwirken, weil wir nicht wissen, wer sie sind. Wir kriegen schon wahnsinnig viele Beschwerden, aber die drehen sich vorwiegend um nichtregistrierte Verkäufer oder um Bettler. Der „Augustin“ ist einfach in vielen Fällen Ansprechpartner für alle Beschwerden, die irgendwie mit Straßenzeitungen und Betteln zusammenhängen. Da sind wir ein bisschen das Salzamt der Leute.

wien.ORF.at: Wie erklären Sie den Leuten Ihre Position?

Rohrmoser: Wir finden, dass das Betteln erlaubt sein soll. Das Bettelverbot ist für den „Augustin“ schlecht. Bettler können nicht mehr ruhig irgendwo sitzen, sondern müssen mobil sein. Und wenn man auf der Straße unterwegs ist, braucht man irgendeine Legitimierung, um Menschen anzusprechen. Und dieses Schutzschild heißt „Augustin“.

wien.ORF.at: Die Zeitung als Legitimation fürs Betteln?

Rohrmoser: Ja genau. Das wird gemacht. Und wir finden das zum Teil total nachvollziehbar. Aber es ist für uns wahnsinnig mühsam, das den Kunden zu kommunizieren, dass wir die Leute im Grunde nicht kennen und sie die Zeitungen wahrscheinlich über sieben verschiedene Kanäle bekommen. Die Zeitung kann im Familienverband oder im Freundeskreis weitergegeben werden oder man nimmt sie in einem Kaffeehaus mit, holt sie aus dem Mistkübel oder kauft sie ganz legal. „Augustin“-Verkäufer, die registriert sind, dürfen die Zeitungen nicht weitergeben.

Gesamtprojekt Augustin

Die Straßenzeitung „Augustin“ wurde im Jahr 1995 gegründet und hilft Menschen, die vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen sind (Obdachlose, Langzeitarbeitslose, Asylbewerber). Radio Augustin und TV Augustin komplettieren die mediale Präsenz des Projekts. Weitere Initiativen wie die Schreibwerkstatt, der Chor Stimmgewitter Augustin, die Schauspielgruppe 11% K.Theater und der Fußballklub Schwarz-Weiß Augustin bilden das Gesamtkunstwerk Augustin.

wien.ORF.at: Wie erkennt man die registrierten Verkäufer?

Rohrmoser: „Augustin“-verkäufer tragen meist sichtbar einen schwarz-weißen Ausweis, da steht der Vor- und Familienname drauf, es sind ein Foto und ein Stempel von uns drauf. Außerdem gibt es eine Nummer, die mit dem Anfangsbuchstaben des Familiennamens beginnt. Aber der Ausweis ist halt schwarz-weiß und daher relativ leicht kopierbar. Wir sind am Überlegen, wie wir das ändern können.

wien.ORF.at: Soll man „Augustin“-Verkäufern Trinkgeld geben?

Rohrmoser: Ich finde es legitim, Trinkgeld zu geben. Aber es ist auch wichtig, die Zeitung mitzunehmen. Einfach nur 2,50 Euro zu geben und zu sagen „Die Zeitung brauch ich nicht“ - das ruiniert uns. Jede Zeitung, die den Besitzer wechselt, sichert das Überleben des Vereins, weil die Leute die Zeitung bei uns um 1,25 Euro einkaufen und um 2,50 verkaufen. Für die Verkäufer ist das ja auch ein Schlag ins Gesicht. Es muss wieder eine Wichtigkeit bekommen, dass das Menschen sind, die etwas verkaufen und nicht betteln.

wien.ORF.at: In Lokalen wird man ständig mit Verkäufern von Straßenzeitungen konfrontiert. Wie soll man damit umgehen?

Rohrmoser: Ich bin ja auch betroffen, wenn ich im Beisl sitze. Mir scheint, je klarer ich für mich festgelegt habe, wie ich mit Armut umgehe, desto leichter ist es Menschen in die Augen zu schauen und sagen zu können: „Nein, im Moment nicht.“ Es ist leichter, wenn man eine Strategie hat. Zum Beispiel: Ich habe in der Woche zehn Euro, die ich einfach irgendwo verteile. Und wenn das aus ist, ist es aus.

So lange man immer ein schlechtes Gewissen hat, ist es schwierig. Ich mag mich nicht laufend mit einem schlechten Gewissen konfrontieren lassen. Aber wenn ich für mich sage, ich kann deine Situation im Moment nicht ändern, ich ändere dann, wenn es für mich passt oder wenn ich gerührt bin, ist es einfacher. Wenn jemand lästig ist, kann ich auch respektvoll bleiben und sagen „Danke, nein.“

Das Interview führte Florian Kobler, wien.ORF.at

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