16-Jährige: Kein Mord, vier Jahre Haft

Kein Mord, vier Jahre Haft: So lautet das nicht rechtskräftige Urteil gegen eine 16-Jährige, die im Vorjahr ihre beste Freundin erstochen haben soll. Dem Mädchen hatten zuvor wegen Mordes bis zu zehn Jahre Haft gedroht.

Der Schuldspruch erfolgte nicht wegen Mordes, sondern wegen absichtlicher schwerer Körperverletzung mit Todesfolge. Der Strafrahmen dafür beträgt bis zu fünf Jahre. Das Gericht verhängte vier Jahre unbedingte Haft. Die Mordanklage wurde von den acht Laienrichtern mit dem knappest möglichen Ergebnis - nämlich mit 4:4 Stimmen - verworfen.

Die Geschworenen gingen mit 7:1 Stimmen davon aus, dass es der Angeklagten zwar gezielt darauf ankam, ihre Freundin schwer zu verletzen. Tötungsvorsatz habe sie beim Zustechen aber keinen gehabt. Die Entscheidung ist nicht rechtskräftig. Während die 16-Jährige das Urteil nach Beratung mit Verteidiger Lennart Binder annahm, legte Staatsanwältin Isabelle Papp unverzüglich Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung ein.

„Besonders brutale Vorgangsweise“

Bei der Strafbemessung wertete das Gericht die bisherige Unbescholtenheit, die ungünstigen Erziehungsverhältnisse der 16-Jährigen - sie wuchs ohne Mutter auf - sowie die von Gerichtspsychiaterin Gabriele Wörgötter bescheinigte „verminderte Steuerungsfähigkeit“ der Angeklagten infolge eines vorangegangenen, offenbar schon länger praktizierten Drogenmissbrauchs als mildernd.

Erschwerend war demgegenüber „die besonders brutale Vorgangsweise“, wie der vorsitzende Richter Norbert Gerstberger betonte. Die Angeklagte habe außerdem „keine wirkliche Reue“ gezeigt.

Den Angehörigen der ums Leben gekommenen Melissa M. wurde nur ein Teil ihrer geltend gemachten Ansprüche zugesprochen: Neben den Begräbniskosten von 4.390 Euro wurden dem Vater, der Mutter und der Schwester jeweils ein Trauerschmerzensgeld von 5.000 Euro zugestanden. Mit den darüber hinausgehenden Beträgen - die Eltern hatten je 20.000 Euro, die Schwester 15.000 Euro verlangt - wurden sie auf den Zivilrechtsweg verwiesen.

Erfolglose Mund-zu-Mund-Beatmung

Zuvor hatte die Angeklagte im Prozess ausgesagt, sie sei von dem Opfer erniedrigt worden. „Sie hat mich verletzt“, so die Angeklagte. Ihre Freundin habe sie gehänselt, als sie mit ihrem Ex-Freund zusammenkam. „Hahaha, er hat dich verlassen, ich bin schöner“, soll sie gesagt habe. Trotzdem seien sie Freundinnen geblieben: „Ich habe sie geliebt. Ich habe sie zu gern gehabt, um sie loszulassen“, so die Angeklagte.

Mordprozess

APA/Herbert Pfarrhofer

Angeklagte im Gerichtssaal

Am Abend vor der Tat habe sie Drogen genommen, habe „paranoide Schübe, Wahnvorstellungen“ bekommen: „Ich habe immer Männer gesehen, die mich verfolgen.“ In der Früh, als ihre Freundin vor ihr stand, habe sie Angst bekommen. „Und dann habe ich hingestochen“, sagte sie schluchzend. „Ich hab’ mich so gehasst in dem Moment. Ich wollte, dass sie wieder lebt“, sagte die Angeklagte - sie habe erfolglos Mund-zu-Mund-Beatmung gemacht: „Ich weiß nur noch, wie sie die Augen verdreht hat.“

Zeuge: „Sie waren beste Freundinnen“

Zuvor sagte der 36-jährige Mann aus, bei dem die beiden Freundinnen Unterschlupf für die Nacht gefunden hatten. Er hatte seine Wohnung gegen 7.00 Uhr verlassen, um zum Hausarzt zu gehen. Die ganze Nacht habe er mit der Angeklagten geredet, während deren Freundin längst schlief. Das Mädchen habe sich beschwert, weil diese mit ihrem Ex zusammengekommen sei. Sie habe auch gesagt: „Ich würde sie am liebsten umbringen“ - „Ich habe das nicht ernst genommen. Sie waren ja die besten Freundinnen“, so der Zeuge.

Das Mädchen sei sichtlich unter Drogen gestanden, als er sie in seine Wohnung ließ. Sie sei auch ängstlich gewesen. Als er vom Arztbesuch zurückkam, sei die Freundin der Angeklagten in einer Blutlacke auf dem Boden gelegen. Die 16-Jährige habe „Melissa, Melissa, wach auf!“ geschrien. Er habe sie angebrüllt, was sie getan habe, und die Rettung alarmiert. Doch für Melissa kam trotz einer Notoperation im nächstgelegenen Spital jede Hilfe zu spät.

16-Jährige: „Ich war es“

Ein chemischer Sachverständiger legte in seinem Gutachten dar, dass die Angeklagte zum Zeitpunkt der Tat zwischen 1,2 und zwei Promille Alkohol im Blut gehabt haben dürfte. Außerdem hatte sie nicht wie von ihr selbst vermutet MMC, sondern das wirkungsähnliche MEC konsumiert. Diese Droge sei wissenschaftlich weit weniger erforscht. Im Gegensatz zur Verteidigung gab der Gutachter eine wesentlich geringere Inhaltsmenge der Droge im Blut an.

15-Jährige sticht auf Freundin mit Messer ein. Im Bild: Zwei Polizisten verlassen den Tatort.

APA/Georg Hochmuth

Tatort in Favoriten

Auf die Frage des Richters, ob sie sich schuldig bekenne, antwortete die 16-Jährige: „Ich war es.“ Verteidiger Lennart Binder wertete das aber nicht als Geständnis im Sinne der Anklage: „Sie war vollgepumpt mit Drogen und nicht in der Lage, das Unrecht ihrer Tat einzusehen“, so der Anwalt. Sie sei zum Tatzeitpunkt nicht zurechnungsfähig gewesen. Das Motiv Eifersucht nannte Binder „völlig verfehlt. Dieses Herumalbern über Beziehungen dürfte unter Jugendlichen normal sein.“ Es habe „keinen Sinn, diese Geschichte so zu emotionalisieren“.

Psychiaterin: Mädchen zurechnungsfähig

Mit den Gutachten der psychiatrischen Sachverständigen Gabriele Wörgötter und des Gerichtsmediziners Christian Reiter kam das Beweisverfahren zum Abschluss. Wörgötter bescheinigte der Angeklagten Zurechnungsfähigkeit zum Tatzeitpunkt. Die von der Angeklagten behaupteten Wahnvorstellungen seien „nicht nachvollziehbar“. Der Drogenmissbrauch habe eine „sensitive Überempfindlichkeit“ und eine „aggressive Triebenthemmung“ bewirkt.

Diskussion über Facebook-Postings

„Beste Freundin hängt mit Ex herum. (...) Leben oder Tod??? Auf was tippt ihr?“ Diesen Eintrag auf Facebook soll die Angeklagte zwei Wochen vor der Tat eingegeben haben. Staatsanwältin Isabelle Papp interpretierte das als Ankündigung des Verbrechens. Im Prozess sagte das Mädchen aus, sich nicht an das Posting erinnern zu können. Auf Facebook war kurz nach der Tat auch zu lesen: „Es tut mir leid. Jetzt komme ich in den Häf’n. Jetzt habe ich meine beste Freundin abgestochen.“

Wie die Staatsanwältin den Geschworenen darlegte, war dem Mord ein Streit vorausgegangen, weil die Freundin eine Beziehung mit dem Ex-Freund der Angeklagten angefangen hatte: „Sie war rasend eifersüchtig und gekränkt.“ Der Stich fiel derart heftig aus, dass die 16 Zentimeter lange Klinge 13 Zentimeter tief in den Körper der Freundin eindrang und deren Herz beschädigte. Das Mädchen hatte keine Überlebenschance, wie auch der Gerichtsmediziner bestätigte: „Selbst wenn die Tat direkt vor einem Krankenhaus begangen worden wäre.“

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