Josef S. nach Urteil in Freiheit

Der 23-jährige Josef S. ist wieder in Freiheit. Er verließ kurz nach dem Urteilsspruch - ein Jahr Haft, vier Monate davon unbedingt - die Justizanstalt. Seine Eltern sind erleichtert, die Mutter will aber eine Entschuldigung des Staatsanwalts.

S. wurde des Landfriedensbruchs, der schweren Sachbeschädigung und versuchter schwerer Körperverletzung schuldig gesprochen. Den Rest der Strafe sah das Gericht dem bisher Unbescholtenen unter Setzung einer dreijährigen Probezeit auf Bewährung nach. Das Urteil ist nicht rechtskräftig.

Josef S. am letzten Verhandlungstag

APA/Georg Hochmuth

Josef S. am letzten Verhandlungstag

Mutter verlangt Entschuldigung des Staatsanwalts

Die Wortwahl des Staatsanwalts in dessen Schlussplädoyer sei „diffamierend“ gewesen und habe sie „erschüttert“, sagte die Mutter des 23-Jährigen. Der Staatsanwalt hatte ihren Sohn der Feigheit bezichtigt und ihn in die Nähe zum Terrorismus gerückt. Die Mutter verlangt nun eine öffentliche Entschuldigung des Staatsanwalts. Sie und ihr Mann hätten damit gerechnet, dass ihr Sohn nicht freigesprochen wird, „weil das ganze Verfahren hindurch klar war, dass der Aussage des Belastungszeugen Glauben geschenkt wird“.

Bei der Urteilsverkündung sei ihr schlecht geworden, gestand die Mutter des 23-Jährigen ein: „Ich versuche, mich jetzt erst mal körperlich aufrecht zu halten. Aber ich bin glücklich, wenn ich ihn (ihren Sohn, Anm.) sehe.“ Dem 23-Jährigen waren die fast sechs Monate Untersuchungshaft auf die Strafe anzurechnen. Rund 30 Minuten nach Ende der Verhandlung öffneten sich für den Studenten dann schließlich die Gefängnistore. Ein Taxi, in dem auch seine Mutter und sein Anwalt saßen, brachte den Deutschen in die Freiheit.

Sein Sohn sei zu unrecht verurteilt worden, sagte der Vater nach dem Ende des Prozesses, aber: „Wir freuen uns zunächst einmal, dass das Urteil das Ergebnis hat, dass unser Sohn frei ist“, sagte der Vater des Verurteilten. Mit dem Schuldspruch durch das Gericht ist der Vater nicht einverstanden: „Für mich ist unser Sohn weiter unschuldig.“

Gericht: "Zweck heiligt nicht Mittel

In seiner Urteilsbegründung bezeichnete Richter Thomas Spreitzer den mehr oder weniger einzigen Belastungszeugen als „vollkommen glaubwürdig“: „Es gibt keinen Grund, warum er Sie zu Unrecht beschuldigen soll“, sagte er zum verurteilten Studenten. Dem Beamten sei es „nicht darum gegangen, jemanden einzutunken“. Unterschiedliche Angaben des Zeugen seien „unbedenklich“, zumal der Beamte unter Stress gestanden sei.

Die Behauptung des Verteidigers, der 23-Jährige wäre „nur friedfertig“ gewesen, nannte Spreitzer demgegenüber „total unglaubwürdig und lebensfremd“. Der junge Mann habe an der Demonstration „erste Reihe fußfrei“ teilgenommen - auch noch, als diese eskalierte: „Einer, der damit nix zu tun haben will, dreht sich um und geht.“

Spreitzer billigte dem 23-Jährigen zu, als „politisch denkender junger Mann“ gehandelt zu haben: „Der Zweck heiligt aber nicht die Mittel.“ Er forderte den Studenten dazu auf, über die Folgen seiner Handlungen nachzudenken. „Rechtspopulisten“ und „namhafte österreichische Politiker“, die am Akademikerball teilgenommen hatten, hätten durch die von einem kleinen Teil der Demonstranten vorgenommenen Gewaltakte die Möglichkeit bekommen, „sich als die neuen Juden darzustellen“ bzw. sich „als Unschuldslämmer und Opfer zu gerieren“.

Verteidigung: „Kein strafbares Verhalten“

Der Angeklagte habe „friedlich, ohne Vermummung“ an der Demo teilgenommen und kein wie auch immer strafbares Verhalten gesetzt, hatte Verteidiger Clemens Lahner im Schlussplädoyer betont. 2.500 Polizisten hätten den jungen Mann trotz eines markanten Sweaters und einer bei Nacht reflektierenden Hose bei keiner strafbaren Handlung beobachtet. Dass demgegenüber ein einziger Beamter seinen Mandanten belaste, könne nicht Grundlage einer Verurteilung sein, zumal dieser Zeuge „uns berichtet hat, was er sich zusammengereimt hat“, wie Lahner sagte.

TV-Hinweis:

Einen „Wien heute“-Beitrag dazu sehen Sie am 22. Juli 2014 ab 19.00 Uhr in ORF 2 und danach on Demand.

Lahner wies auf widersprüchliche Angaben des Zivilpolizisten hin, der den Angeklagten während der Demo laufend beobachtet und beim Erteilen von Kommandos gehört haben will. Letzteres sei mittlerweile von einem Gutachten widerlegt, betonte Lahner. Auch für die ihm unterstellte Verwüstung der Polizeiinspektion Am Hof sowie das Zerstören eines Polizeieinsatzfahrzeugs mittels einer Rauchbombe komme der 23-Jährige nicht infrage. Er habe sich nachweislich zu den fraglichen Zeitpunkten noch gar nicht am Ort des Geschehens befunden.

„Auf Hunderten Fotos und Videos gibt es kein einziges Bild, das den Angeklagten bei einer strafbaren Handlung zeigt“, bekräftigte der Rechtsvertreter des 23-Jährigen. Die schriftliche Anklage bezeichnete Lahner als „Angriff auf die Demonstrationsfreiheit“, da sie alle Demonstranten pauschal als „Demosöldner“ und „Chaoten“ diffamiere. Lahner beantragte daher am Ende einen Freispruch für den 23-jährigen Studenten aus Jena.

Josef S. im Gerichtssaal

APA/Hochmuth

Josef S. wird in den Gerichtssaal gebracht.

Staatsanwalt warf Angeklagtem Feigheit vor

Staatsanwalt Leopold Bien warf dem 23-Jährigen in seinem Schlussplädoyer Feigheit vor und rückte ihn in die Nähe des Terrorismus. Er zeigte sich hinsichtlich der Anklagepunkte Landfriedensbruch, versuchte Körperverletzung und schwere Sachbeschädigung von dessen Schuld überzeugt, musste jedoch einräumen, dem 23-Jährigen bei der Körperverletzung den Vorsatz im Zweifel nicht nachweisen zu können.

Dass der Angeklagte während der Verhandlung von seinem Schweigerecht Gebrauch gemacht hatte, behagte dem Anklagevertreter nicht. Bien ersuchte das Gericht, dies entsprechend zu würdigen. „Ich persönlich halte es für feige, wenn man schweigt, wenn man einem die Maske vom Kopf zieht und man ohne Schutz sich verantworten muss“, stellte der Staatsanwalt fest.

Das brachte ihm in einem darauf folgenden Plädoyer herbe Kritik von Co-Verteidigerin Kristin Peitrzyk ein: „Wenn es eine Verurteilung auf dieser Beweislage gibt, ist das ein in Angst und Schrecken Versetzen jeder Person, die auf eine Demonstration geht“, meinte Peitrzyk, was zahlreiche im Saal anwesende Sympathisanten des Angeklagten mit heftigem Applaus honorierten.

Menschen vor Gerichtssaal

ORF

Großes öffentliches Interesse

Staatsanwalt: Landfriedensbruch notwendig

Dem Tatbestand des Landfriedensbruchs brauche es, um strafrechtlich gegen Ausschreitungen bei Großveranstaltungen vorgehen zu können, betonte der Staatsanwalt. Derjenige sei zu bestrafen, „der in einer Menschenmenge verharrt und daraus heraus entsprechende Straftaten begeht“. Das sei im gegenständlichen Fall „ganz klar der Fall“.

Dass sich die Anklage nur auf die Angaben eines einzigen Zeugen stütze, fand der Ankläger nicht irritierend. Dieser Beamte habe einzig und allein die Aufgabe gehabt, die Demonstranten zu beobachten und habe in dieser Funktion den Angeklagten von Beginn an minutiös wahrgenommen. Dass andere Beamte keine Wahrnehmung dieser Dinge gemacht hätten, habe kein Gewicht, weil diesen eine andere Aufgabe zugekommen wäre, gab Bien zu bedenken.

Angeklagter in Jena für Zivilcourage ausgezeichnet

Landfriedensbruch, schwere Sachbeschädigung, schwere Körperverletzung: Der 23-Jährige soll eine Rauchbombe in ein demoliertes Polizeifahrzeug geschmissen, Steine gegen Polizisten geschleudert und die Polizeiinspektion Am Hof beschädigt haben. Ein Mann mit Kapuzenpulli mit der Aufschrift „Boykott“ - eben Josef S. - habe Scheiben und eine Eingangstüre der Polizeiinspektion Am Hof eingeschlagen, bevor er ein Polizeiauto völlig demolierte, sagte der Hauptbelastungszeuge, ein Zivilpolizist.

Sechs Monate saß Josef S. in Untersuchungshaft, seit Anfang Juni lief der Prozess, der auch in Deutschland für Verwunderung sorgte. Josef S. sieht sich unschuldig, in seiner Heimatstadt Jena wurde er mit einem Preis für Zivilcourage ausgezeichnet - mehr dazu in news.ORF.at und in Akademikerball: Kritik an Prozess.

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