Daniel Glattauer: Rückzug „vorstellbar“

Bestsellerautor Daniel Glattauer präsentiert heute bei den O-Tönen im MuseumsQuartier seinen neuen Roman „Geschenkt“. Im Interview mit wien.ORF.at spricht er über seine Kindheit in Favoriten, seine Ängste und einen „vorstellbaren Rückzug“.

„Geschenkt“ liegt mit dem „Wunder von Braunschweig“ eine wahre Begebenheit zu Grunde. Dabei handelt es sich um eine Serie anonymer Geldspenden an soziale Einrichtungen und Einzelpersonen, die im November 2011 ihren Anfang nahm. Glattauer wurde darauf während einer Lesereise in Deutschland aufmerksam. „Endlich einmal eine positive Geschichte in den Medien“, so Glattauer über die Wahl des Themas.

Die Geldspenden verwebt Glattauer mit dem abgestumpften Boulevardjournalisten Gerold Plassek, der im Lauf der Recherchen auch seinem 14-jährigen Sohn immer näher kommt. Und es wäre wohl nicht Glattauer, bliebe nicht auch Platz für eine Romanze. Geschrieben hat Glattauer an „Geschenkt“ über einen Zeitraum von einem Jahr.

ORF.at: Wie sieht ein Arbeitstag im Leben von Daniel Glattauer aus? Haben Sie Rituale?

Daniel Glattauer: Ich stehe relativ früh auf. Um 8.00 Uhr setze ich mich hin, und dann geht es gleich los. Ich versuche dranzubleiben, wobei die Kräfte bei mir abnehmen. So gegen 16.00 Uhr beginnt mir dann die Luft auszugehen. Ich nehme mir immer eine gewisse Zeichenanzahl vor, die ich erreichen muss, zuletzt etwa 3.000 Zeichen, das ist so mein Pflichtprogramm für einen Tag.

Autor Daniel Glattauer

ORF/Hubert Kickinger

„Vielleicht mangelt es am Mut mancher Eltern, den Kindern mehr Freiraum zuzutrauen.“

ORF.at: Jetzt, wo der neue Roman fertig ist und bald erscheint, wie geht es Ihnen?

Glattauer: Es gibt viele Phasen, wo ich das Gefühl habe, dass der Roman fertig ist. Das erste Mal fertig damit war ich vor mittlerweile einem guten halben Jahr. Da habe ich das Schreiben abgeschlossen gehabt, und es wurde auch schon lektoriert. Dann ist es nur noch ein Warten auf die neue Aktualität. Als Schriftsteller erlebt man ständig Zeitsprünge. Zuerst schreibt man das Buch, viel später erst kommt es an die Öffentlichkeit. Dann muss man quasi wieder zurück an den Start und den Leserinnen und Lesern zuliebe so tun, als ob auch für einen selbst alles neu ist.

ORF.at: Neben der Serie von anonymen Geldspenden geht es in „Geschenkt“ auch um eine Vater-Sohn-Beziehung. Welche Beziehung hatten Sie als Jugendlicher zu Ihren Eltern?

Glattauer: Meine Eltern waren getrennt, ich habe sie gemeinsam eher nur in angespannten Situationen erlebt. Meine Mutter war streng, aber konsequent. Ich würde sagen das Verhältnis war okay, weil wir sehr ehrlich und offen miteinander umgegangen sind. Meinen Vater habe ich als Kind längere Zeit wenig gesehen, aber es hat emotional immer sehr gut zwischen uns gepasst. Ich bin heute mit beiden im Reinen.

4,5 Millionen Bücher verkauft

Daniel Glattauer hat sich mit „Gut gegen Nordwind“ und „Alle sieben Wellen“ in den Kreis der erfolgreichsten Autoren Österreichs geschrieben. Bisher wurden über 4,5 Millionen seiner Bücher verkauft, der Großteil entfiel auf die beiden E-Mail-Romane rund um Emmi und Leo.

ORF.at: Sie sind in Favoriten aufgewachsen. Welche Kindheitserinnerungen haben Sie daran?

Glattauer: Favoriten war in den 60er Jahren eine G’stetten. Es war Land. Wir haben ringsum Wiesen und Gebüsche gehabt, man konnte sich frei bewegen. Ich bin mit Arbeiterkindern groß geworden. Es waren damals auch viele jugoslawische Gastarbeiter da. Da hat es die Schmidtstahlwerke auf dem Eisenstadtplatz gegeben, wo in der Nähe die Jugoslawen immer Fußball gespielt haben. Sie haben uns Kinder mitspielen lassen. Das waren die Erwachsenen, die immer nett zu uns waren und uns sogar unsere Fahrräder repariert haben.

ORF.at: Wie hat sich der Bezirk verändert?

Glattauer: Ich lebe jetzt in Ottakring und komme eher selten nach Favoriten. Es schaut dort deutlich trister aus, vieles planiert und zubetoniert. Man sieht keine Kinder mehr auf der Straße, es spielt sich nicht mehr alles so im Freien ab wie früher.

ORF.at: Hat die Freiheit der Kinder heutzutage generell abgenommen?

Glattauer: Ja, ich glaube, dass die Kinder behüteter sind. Und zwar behütet mit dem Wunsch, dass man sie keinen Gefahren aussetzt. Damals war man unbekümmerter, wir Kinder waren irgendwo und es ist schon gutgegangen. Heute kommen viele Kinder aus den Wohnungen nicht mehr heraus. Vielleicht mangelt es am Mut mancher Eltern, den Kindern mehr an Freiraum zuzutrauen.

Veranstaltungshinweis

Daniel Glattauer liest am Donnerstag bei den O-Tönen im MuseumsQuartier ab 20.30 Uhr aus „Geschenkt“.

ORF.at: Wovor haben Sie Angst?

Glattauer: Ich bin ein ziemlich angstfreier Mensch. Und ich fühle mich nicht getrieben. Was meine Zukunft betrifft, muss ich nicht immer noch eins draufsetzen. Es ist mir mehr gelungen, als ich mir erträumen hätte können. Ich kann mir gut vorstellen, mich irgendwann komplett zurückzuziehen. Ich muss jedenfalls nicht jedes Jahr ein neues Buch schreiben. Ich bin wirtschaftlich abgesichert und habe deshalb keine Existenzängste. Ängste vor Krankheiten sind mir zum Glück ebenfalls fern. Und Ängste vor dem Sterben tauchen wahrscheinlich erst in 20, 30 Jahren auf.

Autor Daniel Glattauer

ORF/Hubert Kickinger

„Ich kann mir gut vorstellen, mich irgendwann komplett zurückzuziehen.“

ORF.at: Die Hauptfigur im Roman ist anfangs Journalist bei einer Gratiszeitung. Der Boulevard kommt im neuen Roman nicht gut weg. Konkret auf Österreich bezogen: Worin liegen Ihrer Ansicht nach die Gefahren dieser Art von Journalismus?

Glattauer: Ich glaube, dass der Boulevardjournalismus die Menschen unterschätzt, dass er sie dümmer einschätzt, als sie sind und sie zudem für dumm verkauft. Es wird sehr viel in Schwarz-Weiß-Kontrasten geschrieben, es werden Feindbilder geschaffen und Ängste geschürt. Eine weitere Schwäche von Gratis- oder Boulevardmedien ist, dass dem Text zu wenig Platz eingeräumt wird, in wenigen Worten muss alles gesagt sein. Diese Verkürzungen und Überspitzungen bilden Meinung, und das finde ich bedenklich.

Buchhinweis

Daniel Glattauer: Geschenkt. Deuticke, 336 Seiten, 20,50 Euro.

ORF.at: Sollte man diese Zeitungen am besten gar nicht lesen?

Glattauer: Das Angebot ist da. Man kann das Weltgeschehen gratis konsumieren und das zwischen zwei Stationen. Ich fürchte nur, dass es nicht zur geistigen Entwicklung der Leserinnen und Leser beitragen wird. Ich denke vor allem an die jungen Leser, die ja glauben, eine Zeitung kann nichts sonderlich Wertvolles sein, wenn so viele Exemplare davon am Boden herumliegen. Diese Perspektive tut dem Journalismus nicht gut.

ORF.at: Was sagen Sie zu dem offenen Brief an Amazon, in dem die absichtliche Benachteiligung von Verlagen, die der Preispolitik des Onlinehändlers nicht zustimmen, kritisiert wird?

Glattauer: Wenn das so stimmt, wie es kolportiert wird, würde ich mich dem Protest sofort anschließen. Ich habe mich damit aber einfach noch nicht beschäftigt, ich gebe es zu. Ich habe zunehmend weniger Lust, mich ständig dieser Fülle an deprimierenden Tagesthemen auszusetzen. Ich versuche mich lieber auf die wenigen positiven Nachrichten zu konzentrieren, wie etwa die anonyme Spendenserie in Braunschweig, die ich zum Thema meines Romans gemacht habe. Ich bin jetzt über 50 und hätte ganz gerne noch ein paar schöne, hoffnungsvolle, friedliche Jahrzehnte. Ich möchte mich selbst nicht permanent runterziehen.

ORF.at: Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Hubert Kickinger, wien.ORF.at

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