Wahlrecht: Reform gescheitert

Die Verhandlungen über eine Reform des Wahlrechts sind gescheitert. SPÖ und Grüne setzen nur jene Punkte um, die für eine verfassungskonforme Wahl notwendig sind. Die Oppositionsparteien üben heftige Kritik.

„Wir haben uns darauf geeinigt, dass wir uns in diesem Punkt nicht geeinigt haben“, betonten Georg Niedermühlbichler, Landesgeschäftsführer der SPÖ, und David Ellensohn, Klubobmann der Grünen, am Freitag in einer Pressekonferenz unisono. Auch nach mehr als vier Jahren Verhandlungszeit konnten sich die Koalitionspartner beim wichtigsten Streitpunkt, der Neuregelung der Mandatsverteilung, also nicht zusammenraufen.

Allerdings habe man sich darauf verständigt, diese Frage im koalitionsfreien Raum zu lösen. Egal, wie die Sache dann ausgeht, ein vorzeitiges Ende der Koalition stehe nicht im Raum, betonten beide Parteivertreter.

David Ellensohn und Georg Niedermühlbichler

APA/Herbert Pfarrhofer

David Ellensohn (Grüne) und Georg Niedermühlbichler (SPÖ) sehen kein vorzeitiges Ende der Koalition

Antrag der Grünen im Gemeinderat

Ellensohn kündigte bereits an, dass die Grünen in der nächsten Landtagssitzung Ende März einen entsprechenden Antrag einbringen werden, der inhaltlich dem - noch vor der Wien-Wahl 2010 gemeinsam mit ÖVP und FPÖ unterzeichneten - Notariatsakt entspreche und damit den derzeitigen mehrheitsfördernden Faktor, wie ursprünglich gefordert, so gut wie eliminiere. „Das wäre der Idealfall aus grüner Sicht“, man sei sogar froh, nun nicht mehr um einen Kompromiss ringen zu müssen, so Ellensohn.

Allerdings: Die SPÖ könnte den Antrag auch im Falle einer Mehrheit im Plenum theoretisch blockieren. Denn nach der Abstimmung im Landtag hat der zuständige Ausschuss ein sogenanntes Vorberatungsrecht - sprich: Er muss sein Okay geben, bevor die endgültige legistische Umsetzung in einer nächsten Landtagssitzung beschlossen werden kann. Und in diesem Ausschuss hat die SPÖ acht von 15 Sitzen, also weiterhin die absolute Mehrheit.

Niedermühlbichler wollte nicht ausschließen, dass die SPÖ ein neues Verhältniswahlrecht blockieren wird: „So weit sind wir noch nicht.“ Sollte das nicht passieren, ist trotzdem fraglich, ob die neue Regelung noch für den Urnengang 2015 wirksam wird. Denn dass ein Gesetzesvorschlag im Zeitraum zwischen zwei aufeinanderfolgenden Landtagssitzungen fertig beraten sei, sei die Ausnahme. Wird der Antrag also Ende März eingebracht, könnten Wochen oder Monate vergehen, bis er zur Beschlussfassung wieder in den Landtag kommt. Damit wird es für einen eventuellen Wahltermin im Juni - und auch für den Oktober-Termin - äußerst knapp.

Gemeinsame Anträge zu Briefwahl-Nachfrist

Die Anträge, die SPÖ und Grüne zum Wahlrecht gemeinsam einbringen werden, betreffen verfassungsrechtlich notwendige Reparaturen, die eine erfolgreiche Anfechtung der Wahl verhindern. Dabei geht es einerseits um die Abschaffung der Nachfrist für Briefwähler. Andererseits muss aufgrund eines höchstgerichtlichen Urteils bestimmten Strafgefangenen das Wahlrecht eingeräumt werden. Man werde diese Reparaturen gemeinsam im Landtag einbringen, „um nicht ein Jahr später wieder vor die Urnen hupfen zu müssen“, wie Niedermühlbichler erklärte.

Außerdem will man drei Resolutionsanträge beschließen, um das Wahlrecht auf EU-Bürger und Drittstaatsangehörige auszuweiten und den Proporz, also die nicht amtsführenden Stadträte, abzuschaffen. Allerdings: Hier hat der Bund das letzte Wort.

Koalition „nicht beschädigt“

Die SPÖ habe dem zuletzt kolportierten Lösungsvorschlag, den mehrheitsfördernden Faktor von 1 auf 0,6 und ab 2020 auf 0,5 zu reduzieren, laut Niedermühlbichler nicht zugestimmt, „weil es kein Kompromiss war. Wir haben 0,75 angeboten und das war den Grünen zu wenig.“ Auch aus Sicht der Grünen sei zuletzt eine „rote Linie“ überschritten worden, ergänzte Ellensohn.

Trotz der medial ausgetragenen Gefechte der vergangenen Tage sahen beide Chefverhandler das Koalitionsklima nicht beschädigt. „Ich werde mit dem David weiterhin auf ein Bier gehen und mir das eine oder andere Fußballmatch anschauen“, so Niedermühlbichler. „Eine Partnerschaft muss es aushalten, wenn man sich hin und wieder nicht einig ist.“ Ellensohn sah ebenfalls keinen Grund, die Zusammenarbeit vorzeitig aufzukündigen. Denn immerhin habe man 99 Prozent des Koalitionspakts gemeinsam abgearbeitet: „Wenn es nach uns geht, gibt es Rot-Grün auch nach 2015.“

Häupl war „not amused“

Die Diskussion hatte sich in den vergangenen Tagen zugespitzt. Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou (Grüne) hatte ausgerichtet, dass sie noch für diese Woche die Zustimmung der SPÖ zu der - aus ihrer Sicht - bereits ausverhandelten Lösung erwarte. „Ein ‚Nein‘ kann nicht akzeptiert werden - und hätte weitreichende Konsequenzen“, so Vassilakou. Bürgermeister Michael Häupl (SPÖ) wollte darauf mit Vassilakou über dieses Thema nicht mehr reden - mehr dazu in Vassilakou-Ultimatum lässt Häupl kalt.

Häupl hatte noch am Dienstag gesagt, dass die SPÖ nach wie vor auf ihrem Standpunkt stehe, dass der heiß diskutierte „Verzerrer“ bei der Mandatsverteilung maximal auf 0,75 reduziert wird - mehr dazu in Wahltermin: Häupl gibt sich bedeckt. Zuvor hatte der Bürgermeister kundgetan, dass er über das Verhalten des kleinen Koalitionspartners „not amused“ sei - mehr dazu in Grüne: Einigung bei Wahlrecht - SPÖ dementiert.

FPÖ: „Nicht unamüsante Komödie“

Von einem „vorläufigen Finale einer phasenweise tatsächlich nicht unamüsanten Komödie rund um das Wahlrecht“ spricht die Wiener FPÖ in einer Aussendung. Landesparteiobmann Heinz-Christian Strache forderte rasch Neuwahlen: „Dass die Koalition trotzdem fortgeführt werden soll, das ist eine gefährliche Drohung.“

Klubobmann Johann Gudenus zeigte sich über den angekündigten Antrag der Grünen enttäuscht: „Sechs Mal haben wir, teils gemeinsam mit der ÖVP, Anträge für das versprochene faire Wahlrecht eingebracht. Sechs Mal haben die Grünen gemeinsam mit den Sozialisten diese Anträge in Ostblock-Manier niedergestimmt. Dass sie nun plötzlich selbst in einem Landtag Ende März einen gleichlautenden Antrag einbringen wollen, ist nicht wirklich ernst zu nehmen.“ Dennoch werde man mitstimmen, wie eine FPÖ-Sprecherin bestätigte, allerdings nur, wenn der Antrag mit den Vorgaben des Notariatsaktes ident ist.

Als „endgültig gescheitert“ sieht der Wiener ÖVP-Obmann Manfred Juraczka die rot-grüne Koalition. „SPÖ und Grüne haben sich geeinigt: wir bleiben an den Futtertrögen der Macht, sonst ändert sich gar nichts“, hieß es in einer Aussendung. „Das rot-grüne Koalitionsmikado hat mit einem unentschieden geendet, Verlierer sind eindeutig die Wählerinnen und Wähler“, so Juraczka. Die ÖVP will mit FPÖ und Grünen eine gemeinsame Lösung finden, um einen direkten Beschluss umsetzen zu können.

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