50. Todestag von Ernst Kirchweger

Ernst Kirchweger ist vor fünfzig Jahren bei einer Demonstration zwischen Antifaschisten und rechten Studenten in Wien niedergeschlagen worden und gestorben. Er war das erste politische Todesopfer der Zweiten Republik.

Vor 50 Jahren erschütterte der „Fall Borodajkewycz“ Österreich. Die Affäre um den Hochschulprofessor mit Nazi-Vergangenheit wird seither zitiert, wenn es um den Umgang mit NS-belasteten Würdenträgern geht. Sie forderte letztlich am 31. März 1965 mit Ernst Kirchweger das erste politische Todesopfer der Zweiten Republik.

Fischer gegen Borodajkewycz

Mit der Affäre eng verknüpft sind die Namen späterer hoher Politiker. Der an der damaligen Hochschule für Welthandel, der heutigen Wirtschaftsuniversität (WU), lehrende Sozial- und Wirtschaftshistoriker Taras Borodajkewycz war durch antisemitische Äußerungen und sein Bekenntnis zu seiner nationalsozialistischen Vergangenheit bereits länger im Mittelpunkt zunächst weitgehend uniinterner Kontroversen.

1962 veröffentlichte der 24-jährige Jurist und heutige Bundespräsident Heinz Fischer im SPÖ-Organ „Zukunft“ und in der „Arbeiter-Zeitung“ Artikel gegen Rechtsradikalismus an den österreichischen Hochschulen - speziell kritisierte Fischer die Vorlesungen von Borodajkewycz.

Verurteilung wegen Ehrenbeleidigung

Der Hochschulprofessor klagte, Fischer wurde 1963 wegen Ehrenbeleidigung verurteilt. Er hatte sich nämlich geweigert, die Grundlagen seiner Artikel - Vorlesungsmitschriften eines jungen Wirtschaftsstudenten namens Ferdinand Lacina, dem späteren SP-Finanzminister - offenzulegen. Er wollte Lacinas Identität nicht lüften, da dieser sein Studium noch nicht abgeschlossen hatte.

TV-Hinweis:

Einen „Der Report“-Beitrag aus dem Jahr 2005 von der Demonstration und vom Tod Ernst Kirchwegers, inklusive Interviews von Heinz Fischer und Taras Borodajkewycz, finden Sie in der ORF TVthek.

Borodajkewycz dürfte das Urteil zum Anlass genommen haben, seine Ansichten noch stärker zu verbreiten. In der deutschen Wochenzeitung „Das Parlament“ schrieb er unter dem Titel „Gedanken zum 1. September 1939 und seine Folgen“ unter anderem: „Es ist nur ein Teil der gesamtdeutschen Katastrophe, dass wir deutschen Österreicher zum zweiten Mal innerhalb einer Generation das größere Vaterland verloren haben.“ SPÖ-Abgeordnete wollten daraufhin vom damaligen Unterrichtsminister Theodor Piffl-Percevic (ÖVP) in einer parlamentarischen Anfrage wissen, ob er bereit sei, gegen Borodajkewycz ein Disziplinarverfahren einzuleiten.

Öffentlicher Druck wegen Bronner-Satire

Große Öffentlichkeit bekam der Fall Borodajkewycz am 18. März 1965, als der Kabarettist Gerhard Bronner in der ORF-Sendung „Zeitventil“ Originalzitate des Professors für ein fiktives Interview verwendete. Aufgrund der darauffolgenden Medienberichte gab Borodajkewycz am 23. März eine Pressekonferenz, die das Fernsehen ausschnittsweise ausstrahlte. Dabei bezeichnete er die österreichische Nation als „Geflunker“ und bekannte sich offen zu seiner NS-Vergangenheit.

„Ich habe niemals meine Mitgliedschaft bei der NSDAP verleugnet, ich bin auch freiwillig beigetreten, zum Unterschied von manchen Zeitgenossen, die dann behaupteten, sie sind gezwungen worden. Ich bin freiwillig beigetreten. Ich müsste mich ja schämen, wenn ich mich nicht zu der Vergangenheit bekenne“, sagte Borodajkewycz. Die Pressekonferenz an der Hochschule für Welthandel löste zwar Jubel bei den anwesenden rechtsgerichteten Studenten, in der breiten Öffentlichkeit aber einen Proteststurm aus.

Zusammenstöße bei Demo in Wien

Am 31. März erklärte Piffl-Percevic in einer parlamentarischen Fragestunde, dass er nicht bereit sei, den Historiker vom Dienst als Hochschullehrer zu suspendieren. An diesem Tag nahmen tausende Menschen an einer von der „Österreichischen Widerstandsbewegung“ organisierten Demonstration gegen Borodajkewycz teil.

Veranstaltungshinweis:

Anlässlich des 50. Todestages von Kirchweger werden am Dienstag um 17.00 Uhr „Steine der Erinnerung“ vor dem Hotel Sacher in der Philharmonikerstraße enthüllt. Es sprechen Albrecht K. Konecny, Camila Garfias und Gerald Netzl.

Es kam zu Zusammenstößen zwischen Demonstranten der Widerstandsbewegung und Anhängern des Uni-Lehrers. Dabei wurde Ernst Kirchweger in der Philharmonikerstraße durch einen Faustschlag von Günther Kümel schwer verletzt. Er erlag zwei Tage später seinen Kopfverletzungen. Kümel, der bereits wegen verschiedener Attentate straffällig geworden war, wurde im Oktober 1965 zu zehn Monaten Arrest verurteilt.

Freispruch für Heinz Fischer

Im April 1965 erreichte Fischer die Wiederaufnahme seines Verfahrens. Lacina hatte in der Zwischenzeit sein Studium abgeschlossen und sagte als Zeuge für Fischer aus. Das Verfahren endete im Juni 1965 mit einem Freispruch, der Berufung des Professors wurde nicht stattgegeben. Borodajkewycz selbst stellte im März 1965 an der Hochschule für Welthandel den Antrag, gegen ihn ein Disziplinarverfahren einzuleiten. Im Mai 1966 wurde er durch eine Entscheidung des Disziplinarsenats der Hochschule strafweise (bei vollen Bezügen) in den Ruhestand versetzt.

Taras Borodajkewycz wurde 1902 in der Ukraine geboren und wuchs in Baden bei Wien auf. 1934 trat er der damals noch illegalen NSDAP bei. Er habilitierte sich 1937 und wurde 1942 Professor in Prag. Während des Zweiten Weltkriegs war er Mitarbeiter des SS-Nachrichtendienstes. 1955 wurde der Historiker außerordentlicher Professor an der Hochschule für Welthandel in Wien. Er verstarb im Jänner 1984 im 82. Lebensjahr.

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