Malariatherapie in Wien „Sonderfall“

Bis in die 1970er Jahre sind psychisch Kranke in Wien mit Malaria infiziert worden, um sie zu behandeln. Diese heute verpönte Therapie war damals zulässig, sagen nun Historiker. Allerdings wurde sie nirgends so lange und breit praktiziert wie in Wien.

Psychisch kranke Menschen sollen an der Wiener Universitätsklinik für Psychiatrie und Neurologie auf dem alten AKH-Gelände mit absichtlich herbeigeführten schweren Fieberschüben behandelt worden sein. Bis in die 1970er Jahre sollen Heimkinder an der Universitätsklinik mit Fieberkuren, Insulin- und Elektroschocks behandelt worden sein. Diese Vorwürfe wurden jetzt aufgearbeitet.

Das zentrale Ergebnis: Es gibt keinen Hinweis darauf, dass die Malariafiebertherapie oder eine der anderen Therapien wie Insulinschocks und Elektroschocks zu Versuchszwecken oder gar als Betrafung eingesetzt wurden. Zu diesem Schluss kam die von der MedUni Wien eingesetzte Historikerkommission unter der Leitung von Gernot Heiss, die sich seit zwei Jahren mit der Thematik intensiv beschäftigte. Die Kommission konzentrierte sich auf die Wiener Klinik unter der Leitung von Hans Hoff (1951-1969).

772 Erwachsene und 35 Kinder infiziert

Dabei wurden die Akten von etwa 90.000 Patienten durchforstet. Bei 772 Erwachsenen und bei 35 Kindern wurde die Malariafiebertherapie angewandt. Damals ging man davon aus, dass die dadurch ausgelösten tagelangen hohen Fieberschübe die psychischen Leiden lindern würden. Erschreckend aus heutiger Sicht waren auch die unklaren Diagnosen wie Psychopathie und angeblicher Intelligenzmangel.

„Die 35 Fälle betrafen fast ausschließlich Fälle von Intelligenzmängeln. Keines der Kinder kam aus einem Heim“, so Heiss. Dass die Malariatherapie bei Heimkindern und Patienten der Klinik am Steinhof als Bestrafung angewandt wurde, gebe es keinen Beleg. Es soll aber Kritik geben, dass diese Frage zu wenig untersucht wurde und dass betroffene Patienten nicht befragt wurden. Dieses Kritik kam von Mitarbeitern des Historikers Heiss als auch aus dem Beirat der Kommission, berichtete Ö1. Ein Beiratsmitglied trat daher aus.

In keinem Land wurde die Malariatherapie eingesetzt wie in Österreich. „Nicht, weil man die pharmakologischen Entwicklungen verschlafen hätte, sondern allein deshalb, weil Wiener Kliniker - wohl vor allem Hans Hoff und seine Generation - positive Erfahrungen mit dieser Therapie hatten und man in Wien länger als woanders über einen Malariastamm verfügte“, sagte Heiss bei der Präsentation der Ergebnisse am Mittwoch.

Infizierung in Einzelfällen nur zur Stammerhaltung

Die Malariainfektion in der Therapie erfolgte in Wien immer durch Blutübertragung von Mensch zu Mensch. Das bedeute, dass der Stamm von Patient zu Patient weitergegeben werden musste, um erhalten zu bleiben. „In einzelnen Akten von Patienten finden sich Bemerkungen wie ‚kommt als Stammträger‘, woraus man interpretieren kann, dass diese Patienten primär als Stammträger der Malaria tertiana behandelt wurden“, sagte Johannes Wancata, Psychiater und Mitglied des Beirates.

Daher könne auch nicht ausgeschlossen werden, dass in Einzelfällen eine Anwendung der Malariatherapie zwar von der allgemeinen Diagnose her gerechtfertigt, aber vor allem zur Aufrechterhaltung des Malaria-tertiana-Stamms erfolgte. Wancata betonte, dass ein solches Vorgehen aus heutiger Sicht klar abzulehnen sei: „Als Leiter einer der Nachfolgeeinrichtungen der früheren Neurologisch-Psychiatrischen Universitätsklinik bedauere ich diese damals durchgeführten Maßnahmen.“ MedUni-Rektor Wolfgang Schütz schloss Entschädigungszahlungen nicht aus. Die Studie könne eine Basis für rechtliche Überlegungen sein, so Schütz.

Therapie einst preisgekrönt, heute verpönt

Durch das Infizieren mit dem Malariaerreger bekamen die Patienten sehr hohes Fieber, was sich bei manchen psychischen Erkrankungen positiv ausgewirkt haben soll. Die Betroffenen hatten aber unter dem oft tagelang hohen Fieber sehr zu leiden. Während des Nationalsozialismus wurde mit der Therapie an vielen psychisch kranken Menschen experimentiert.

Einst mit einem Nobelpreis ausgezeichnet, ist die Malariatherapie heute längst überholt. 1927 bekam der Psychiater Julius Wagner-Jauregg den Nobelpreis für die Entdeckung, dass eine Fiebertherapie die Progressive Paralyse als Spätfolge einer nicht auskurierten Syphilis in den Griff bekommen kann. Die Progressive Paralyse bezeichnet fortschreitende motorische Ausfälle einer oder mehrerer Körperregionen. Für die Auslösung der Fieberschübe injizierte der Psychiater seinen Patienten mit dem Malariaerreger Plasmodium vivax infiziertes Blut.

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