Volkstheater künftig ohne roten Stern
„Eigentlich wollte Michael Schottenberg ihn abnehmen. Ich war überrascht, dass er ihn uns doch da gelassen hat“, sagt die neue Intendantin Anna Badora. Sie setzt nun auf ein neues Logo mit gekipptem „O“ und neu designte Kleidung für das Einlasspersonal - mehr dazu in Roter Stern für das Volkstheater (wien.ORF.at, 2.9. 2005).
Gemeinsam mit der neuen Tribüne, die nun 850 statt bisher 970 Besucher pro Abend komfortablere Sitze und bessere Sicht bietet, soll signalisiert werden, dass nach zehn Jahren unter der Leitung von Schottenberg eine neue Zeit in dem 125 Jahre alten Theaterbau angebrochen ist - mehr dazu in Schottenberg zieht sich aus Branche zurück (wien.ORF.at; 13.6.2015).
APA / Roland Schlager
„Fasching“ zum Saisonstart
Badoras geplante Abschiedsgala am Grazer Schauspielhaus war am 20. Juni unmittelbar nach der Amokfahrt eines Autofahrers, die drei Tote forderte, kurzfristig abgesagt worden. „Es war eine Stimmung an diesem Tag, wie ich sie nie zuvor erlebt habe“, erzählt die Intendantin, die den Sommer vorwiegend in Wien verbracht hat, wo sie Ende der 70er-Jahre am Max-Reinhardt-Seminar als erste Frau ein Regiestudium absolviert hatte.
Seit Wochenbeginn feilt sie mit ihrem Ensemble an der Eröffnungspremiere. Sie gilt einer Dramatisierung des 1967 erschienenen Romans „Fasching“ von Gerhard Fritsch. Warum diese Wahl? „Es war keine Liebe auf den ersten Blick“, gibt Badora zu. „Wieder etwas zum Thema Vergangenheitsbewältigung zu machen, hat mich zunächst nicht so interessiert.“
Deserteur als Frau verkleidet
In dem Buch kehrt ein ehemaliger Deserteur, der als Frau verkleidet überlebt und bei Kriegsende im Handstreich seine Stadt vor der Zerstörung bewahrt hatte, zwölf Jahre später aus russischer Kriegsgefangenschaft heim. Feuer gefangen hat die Regisseurin schließlich „an der gewaltigen und unglaublich bildhaften Sprache, die viel mit der Welt von Jelinek und Bernhard zu tun hat“, sowie an den eindrucksvoll gestalteten Szenen, „die man eigentlich nur auf die Bühne zu stellen braucht“.
Volkstheater
„In ‚Fasching‘ werden Fragen von Zivilcourage, von Aktivität und Passivität, Widerstand und Anpassung gestellt. Die Kleinstadt funktioniert dabei als Spiegel der Gesellschaft“, sagt Badora, für die Fragen nach der Vergangenheit im Theater dann richtig gestellt werden, wenn sie direkt mit der Gegenwart verbunden sind - wie es ihr in Graz etwa mit den Produktionen „Hakoah Wien“ (ab 9. September am Volkstheater zu sehen) oder „Thalerhof“ gelungen ist.
Theater über IS-Kämpfer aus Wien
Zwar sei Theater grundsätzlich „ein langsames Medium“, dennoch versteht Badora Theater sehr wohl als Resonanzkörper der Gesellschaft: „Wir sind eine Art Seismograf für das, was um uns herum passiert.“ Das soll sich in Uraufführungen wie „Der Marienthaler Dachs“ über die Arbeits- und Finanzwelt (Premiere am 25. September), Yael Ronens „Überzeugungskampf“ über aus Wien stammende IS-Kämpfer (Premiere am 18. Dezember) und Ibrahim Amirs Zukunftsvision „Homohalal“ (Premiere am 22. April 2016), aber auch in vielen kleinen Diskussionen und Veranstaltungen ausdrücken.
Ein „Volkstheater“ müsse sich heute als „Vielvölkertheater“ begreifen, sagt die aus Polen stammende Intendantin und verweist auf den bunten Herkunftshintergrund ihres Ensembles. „Wichtig ist mir aber dabei: Das sind alles hochkarätige Schauspieler!“ Noch nicht ganz so durchmischt sei das Publikum, erzählt sie von Vorstellungsbesuchen bei der Bezirkstournee des Volkstheaters.
Im Veranstaltungszentrum der Per-Albin-Hansson-Siedlung etwa gebe es unter den Kursteilnehmern einen sehr hohen Anteil an Migranten, „im Theatersaal war dann kein einziger. Das springt ins Auge!“ In Überlegung ist nun etwa eine Art Partnerschafts-Programm, bei dem langjährige Abonnenten als Mentoren für Vertreter neuer Publikumsschichten fungieren - mehr dazu in 18 neue Schauspieler am Volkstheater (wien.ORF.at; 7.5.2015).
ORF
Theater hat weiterhin Finanzsorgen
Mit dem am Volkstheater als selbstbewusst geltenden Betriebsrat herrsche derzeit ein eher kooperatives Einvernehmen. Neuproduktionen werden künftig jeweils zwei Schließtage zur Premierenvorbereitung bekommen. „Mehr können wir uns wegen der notwendigen Einnahmen nicht leisten.“
Die Finanzierung der Generalsanierung hofft Badora bis Dezember endverhandeln zu können, Finanzsorgen für den laufenden Betrieb werden sie aber noch länger begleiten, fürchtet die neue Intendantin. Habe man aber erst einen erfolgreichen Start absolviert und die neue Positionierung deutlich gemacht, werde es auch leichter werden, Kooperationspartner zu gewinnen. „Man muss uns ein bisschen Zeit geben. Dass alles sofort funktioniert, das habe ich noch nie erlebt.“
Links:
- Volkstheater wird generalsaniert (wien.ORF.at; 3.7.2015)
- Neue Zuschauertribüne für das Volkstheater (wien.ORF.at; 17.4.2015)
- Volkstheater