Jelinek erweitert Flüchtlingswerk mit Texten

Elfriede Jelinek hat ihr Werk „Die Schutzbefohlenen“ über den Umgang mit Flüchtlingen in Österreich mit neuen Texten und Fotos erweitert. Thema sind etwa die Flüchtlingsboote. Das Burgtheater will diese „Coda“ verwerten.

Die Besetzung der Votivkirche durch Asylbewerber im Winter 2012/13 war Elfriede Jelinek Ausgangspunkt für ihren Text „Die Schutzbefohlenen“, der seit März in einer Inszenierung von Michael Thalheimer am Burgtheater zu sehen ist. Angesichts der Ereignisse der vergangenen Wochen hat Jelinek nun zwei neue Texte auf ihre Website gestellt.

Volle Boote, hohe Stacheldrahtzäune

In einem am 18. September veröffentlichten „Appendix“ zu „Die Schutzbefohlenen“ widmet sich Jelinek mit spürbarer Wut und immer wieder durchscheinender Ohnmacht dem Flüchtlingsstrom über den Landweg: den Grenzzäunen, den unhaltbaren sanitären Zuständen in ungarischen Lagern, gesperrten Autobahnen, fahrenden und nicht fahrenden Zügen.

Am Dienstag hat die Nobelpreisträgerin eine „Coda“ hinzugefügt, in der sie sich wortgewaltig den Menschen in auf dem Meer schlingernden Flüchtlingsbooten widmet. Illustriert hat sie beide Texte mit Fotos: Flüchtlinge auf den Autobahnen, Flüchtlinge hinter Stacheldraht, Flüchtlinge im übervollen Boot.

"Die Schutzbefohlenen" im Burgtheater

APA / Hans Klaus Techt

Szene aus „Die Schutzbefohlenen“ im Wiener Burgtheater

„Schauen Sie doch, was die für Dreck machen“

Auch die neuen Textflächen sind durchzogen von messerscharf geschliffenem Zynismus: „Die wandern umher, diese Menschen, es sind so viele, niemand kann sie überblicken, es wird von ihnen gesprochen, niemand kann sie verstehen, die sind so, daß sie nicht kennen, wie man hier spricht“, schreibt sie an einer Stelle des Appendix.

Da geht es um Wahrnehmungsfetzen, um Bilder, die am nächsten Tag schon von den nächsten überlagert werden. Um Mütter, die ihre Kinder aus den Augen verloren haben, um uns, die die Not im Fernsehen sehen, im Internet, dann auf den Straßen: „Im Fernsehen geht es leichter, im Sozialmedium, das ein Sozialmarkt ist, noch leichter, da kann man sich die Besuchszeiten aussuchen“, so Jelinek.

Auch die Bilder, die in Sozialen Netzwerken gerne gegen die Flüchtlinge verwendet werden, greift Jelinek auf: „Sie schaffen Vulkane aus Scheiße, aus Dreck, aus Müll, es sieht aus, als wäre ein Müllberg explodiert, ja, schauen Sie doch, was die für Dreck machen, und sowas sollen wir jetzt immer unter uns wohnen haben?“ Auch den Kühllaster, in dem Ende des Sommers 71 Menschen starben, spart Jelinek nicht aus, ebenso wie den kleinen Buben, der auf seiner Flucht im Meer ertrank und weltweit für Entsetzen sorgte: „Das Foto ist gemacht, es wird der Welt gezeigt und aus. Grade nur einer, ein kleiner Bub. Was ist das schon“ - mehr dazu in A4-Drama: 10 Opfer eindeutig identifiziert (wien.ORF.at; 23.9.2015).

„Wasser bedeutet Tod“

Das Meer ist der Schauplatz des zweiten Textes, der am Dienstag veröffentlichten Coda. Der Leser findet sich auf einem übervollen, klapprigen Boot mit altem Dieselmotor und zu wenig Diesel. Sein Schicksal wird bald vorweggenommen: „Da ist noch Luft nach oben, aber nicht mehr lang. Dann gehts nach unten, dann nehmen wir ein Bad“, schreibt Jelinek in dem Text, in den sie auch Motive aus Euripides’ „Iphigenie in Aulis“ und Homers „Odyssee“ einwebt.

Wasser bedeutet hier Tod. "... die Küche ist eröffnet, nur zu essen gibt es nichts, nein, zu trinken auch nicht, ist Ihnen das denn nicht genug Wasser hier, wollen Sie etwa noch mehr? aber das ist so salzig, es ist eindeutig versalzen, kann ich das zurückschicken?"

"Die Schutzbefohlenen" im Burgtheater

APA / Hans Klaus Techt

Christiane von Poelnitz in „Die Schutzbefohlenen“

Burgtheater will neue Texte einsetzen

Das Burgtheater wird die neuen Texte zwar nicht in die laufende Inszenierung der „Schutzbefohlenen“ einbauen, da diese „ein durchkomponiertes, geschlossenes Gebilde“ sei, so eine Sprecherin. Man überlege jedoch, die Texte anders einzusetzen.

Link: