Tochter erstochen: Mordanklage gegen Mutter

Die Staatsanwaltschaft Wien hat gegen die 38-jährige Frau, die am 4. August ihre vierjährige Tochter in ihrer Wohnung in Hernals erstochen hat, Anklage wegen Mordes erhoben. Sie soll zum Tatzeitpunkt zurechnungsfähig gewesen sein.

Dem Gutachten der psychiatrischen Sachverständigen Adelheid Kastner zufolge war die Mutter zwar in einem „akuten Belastungszustand“, aber zum Tatzeitpunkt zurechnungsfähig. Sie wird sich vermutlich Ende Jänner vor einem Schwurgericht verantworten müssen. Kastner billigt der Frau in ihrer Expertise eine „deutliche Einschränkung der Dispositionsfähigkeit“ zu, geht aber davon aus, dass keine Schuldausschließungsgründe gegeben waren.

Grafik Mord in Hernals

APA / Martin Hirsch

Mehrere Stiche mit Küchenmesser

Ausschlaggebend für die Bluttat dürfte die von Wiener Wohnen betriebene Delogierung der Familie gewesen sein, welche die 38-Jährige nicht mehr abwenden konnte. Der Gerichtsvollzieher und ein Wiener Wohnen-Mitarbeiter, die den entsprechenden Gerichtsbeschluss umsetzen sollten, ließen sich nicht erweichen. Als die beiden Männer kurz die Gemeindewohnung verließen, um der Frau Zeit zum Packen zu geben, griff diese zum Messer.

Delogierung als Belastung

Die 38-Jährige lebte gemeinsam mit ihrem bei einer Baufirma beschäftigten Ehemann, ihrer Tochter und ihrem 13 Jahre alten Sohn in einer Zwei-Zimmer-Wohnung in der Goldscheidgasse. Für die 49 Quadratmeter musste die Familie monatlich eine Miete von 390 Euro bezahlen. Dass sich im Lauf der Jahre Mietzinsrückstände angehäuft hatten, verheimlichte die 38-Jährige ihrem Mann, der offenbar keinen Einblick in die Finanzen hatte.

Bereits im September 2013 wurde der Frau erstmals seitens Wiener Wohnen die gerichtliche Delogierung angedroht. Augenscheinlich konnte sie die Miete nicht aufbringen, da auch die Ganztagsschule ihres Sohnes, der Kindergarten der Tochter, Raten für das Auto und diverse Versicherungen sowie Strom und Gas zu bezahlen waren. Mehrmals konnte die Frau in weiterer Folge den drohenden Verlust der Gemeindewohnung verhindern, indem sie jeweils im letzten Moment ihre Rückstände beglich. Die 2.100 Euro, die sich per 30. Juni 2015 angehäuft hatten, überstiegen jedoch ihre Reserven. Auch 200 Euro, die sie sich mit einer „Notlüge“ von einer Nachbarin ausborgte, konnten die Delogierung nicht mehr abwenden.

Tödliche Stichverletzungen

Am 4. August läuteten um 7.00 Uhr ein Gerichtsvollzieher und ein Wiener Wohnen-Mitarbeiter an der Wohnungstür. Laut Anklage kniete sich die Mutter - ihr Mann war bereits zur Arbeit gegangen - vor den beiden auf den Boden und flehte sie an, sie bzw. ihre Familie nicht vor die Tür zu setzen. Sie soll um eine Ratenvereinbarung gebeten haben. Nach zwei Telefonaten, die der Wiener Wohnen-Mitarbeiter mit einer Vorgesetzten führte, wurde jedoch eine weitere Stundung der Schulden abgelehnt und der Mutter mitgeteilt, die Delogierung sei „unumgänglich“. Ihr wurde noch die Telefonnummer des Jugendamtes überlassen und beschieden, sie könne sich dort um eine Ersatzwohnung kümmern.

Um der Frau Zeit zu geben, ihr Hab und Gut zu packen, verließen die Männer schließlich die Wohnung und kündigten an, in 20 bis 30 Minuten wieder zu kommen, um die Delogierung zu „vollziehen“. Die Vierjährige dürfte mitbekommen haben, dass Außergewöhnliches vorging. Sie soll weinend zur Mutter gegangen sein, als die fremden Männer fort waren. „Diese war aufgeregt, fing zu zittern an und ging in die Küche“, heißt es dann in der Anklageschrift. Die Tochter folgte der Mutter in die Küche, wo sich ein Messer mit einem schwarzen Griff auf der Arbeitsplatte befand.

Mutter droht lebenslange Haft

Die 38-Jährige soll - so die Anklage - plötzlich ihre Tochter gepackt, rücklings an sich gezogen und ihr mit dem Messer die tödlichen Verletzungen zugefügt haben. Ihrem 13 Jahre alte Sohn, der in die Küche gelaufen kam und „Was hast du gemacht?“ schrie, entgegnete sie laut Anklage: „Geh weg und ruf Hilfe!“ Als wenig später die Polizei eintraf, ließ sich die 38-Jährige widerstandslos festnehmen. Sollte sie in ihrem Prozess, den Richterin Nina Steindl leiten wird, anklagekonform schuldig gesprochen werden, drohen ihr zehn bis 20 Jahre oder lebenslange Haft.

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