Mehr Frauen in Orchestern: „Frage der Zeit“

Auch ohne Quote nehmen die Wiener Spitzenorchester immer mehr Frauen in ihren Reihen auf. Verantwortlich dafür ist weniger gesellschaftlicher Druck, sondern die Zahl der hochqualifizierten Studentinnen an den Universitäten.

„Die österreichischen Orchester haben sich bei diesem Thema in der Vergangenheit nicht mit Ruhm bekleckert. Auch wir haben erst 1986 Frauen in das Orchester aufgenommen“, so Johannes Neubert, Geschäftsführer der Wiener Symphoniker gegenüber wien.ORF.at. Inzwischen sind 26 der 126 Orchesterstellen mit Frauen besetzt, das sind rund 21. Prozent. „Darunter sind auch Führungsfunktionen. Wir haben etwa eine Soloflötistin und eine Solooboistin.“

Caroline Sigwald (Violine) und Maria_Grün (Cello) Wiener Symphoniker

Martina_Draper

Wiener Symphonikerinnen Caroline Sigwald (Violine) und Maria Grün (Cello)

Orchester sind Spiegel der Ausbildungsstätten

In den vergangenen Jahren wurden mehr Frauen als Männer im Orchester engagiert. Eine Quote gibt es nicht. „Wir sind ein Spiegel dessen, was an den Ausbildungsstationen stattfindet“, so Neubert. „Die Musikunis sind voll mit hochqualifizierten jungen Frauen. Die Streicher werden bald weiblich dominiert sein, teilweise auch die Holzbläser. Das ist nur eine Frage der Zeit.“

Studierende in Ausbildung

Rund 55 Prozent der 850 Studierenden an der Musik und Kunst Privatuniversität der Stadt Wien und der 3.049 Studierenden an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien sind Frauen.

Für Neubert ist klar: „Wenn wir sagen, wir engagieren die Besten, dann werden wir automatisch viele Frauen engagieren. Das ist die Realität. Denn Frauen können den Männern qualitativ das Wasser reichen, wenn nicht mehr.“ Spätestens beim nächsten Generationenwechsel (2020-2030) soll sich die Aufteilung bei den Wiener Symphonikern „einer Gleichwertigkeit annähern - mit spezifischen Unterschieden bei den Instrumenten.“ Die Vergütung ist kollektivvertraglich geregelt, es gibt keinerlei Unterschiede in der Bezahlung zwischen Frauen und Männern.

„Verrückt, wenn wir nicht die besten nehmen“

Auch die Wiener Philharmoniker geben an, bei der Auswahl ihrer Musiker allein auf die Leistung zu achten. „Wir wären ja verrückt, wenn wir nicht die besten nehmen würden, die wir kriegen“, erklärte einst der ehemalige Philharmoniker-Vorstand Clemens Hellsberg - mehr dazu in oe1.ORF.at.

Aktuell haben es zehn Frauen (knapp acht Prozent) unter die besten geschafft, die anderen 121 Philharmoniker sind Männer. Trotz geringer Fluktuation sind aber auch hier Veränderungen in Sicht. Immerhin drei Frauen wurden in die sogenannte Arbeitsgemeinschaft der Philharmoniker aufgenommen. Und der neue Vorstand Andreas Großbauer schloss gegenüber der Wiener Zeitung nicht aus, dass die Philharmoniker, die vor zwanzig Jahren noch ein reines Männerorchester waren, in zwanzig Jahren ein reines Frauenorchester sein könnten.

1997 wurde mit der Harfenistin Anna Lelkes erstmals eine Frau aufgenommen. Die Mitglieder im privaten Verein der Wiener Philharmoniker sind selbständig tätig. Abgesehen davon ist jedes Mitglied gleichzeitig in einem Angestelltenverhältnis an der Wiener Staatsoper beschäftigt. Dabei gilt das Gleichbehandlungsgesetz. Es gibt somit keine Gehaltsunterschiede zwischen Männern und Frauen in gleicher Position.

Oczkowska

Julia Wesely

Marianna Oczkowska fühlt sich im RSO Wien wohl

„Mütter werden gut geschützt“

Von den 97 Stellen im ORF Radio-Symphonieorchester Wien sind 32 mit Frauen besetzt. Diese sind hauptsächlich bei den Streichern zu finden. „Wahrscheinlich ist es ein Nachteil, wenn man ein Blasinstrument spielt. Da will man Männer haben. Denn da gibt es weniger Stellen und Frauen gehen manchmal in Karenz“, so Marianna Oczkowska, Stimmführerin der zweiten Violine, gegenüber wien.ORF.at. Generell müssten die Musikerinnen genau planen, wann sie ein Kind bekommen. „Mütter werden bei uns gut geschützt, sie dürfen nach der Karenz zurückkommen und auch Teilzeit arbeiten. Bei anderen Orchestern ist das wahrscheinlich nicht so.“

Damit neue Orchesterstellen möglichst fair besetzt werden, finden bei Probespielen die ersten Runden hinter einem Vorhang statt. Oczkowska bezweifelt aber, dass das viel bringt. Denn die Jury könne schon allein am Klang der Schuhe leicht erahnen, ob eine Musikerin oder ein Musiker an der Reihe ist. Selbst das Herkunftsland wollen manche an der Gangart erkennen können.

Bodenlange Röcke und bedeckte Schultern

Frauen, die es in das Orchester geschafft haben, werden gegenüber Männern gleich behandelt und haben gute Aufstiegschancen. „Man muss stark genug sein, um eine Führungsposition zu haben. Aber bei einem Mann wäre das das gleiche. Wenn der Charakter zur Stelle nicht passt, wird das nicht funktionieren“, so die 32-Jährige.

Auch das Publikum hat sich an Frauen in Spitzenorchestern längst gewöhnt. Eine besondere Kleidungsvorschrift gibt es dennoch: Erlaubt sind bodenlange Röcke oder Kleider mit 3/4-Ärmel und bedeckten Schultern. Oczkowska: „Ich bin eh dafür, dass man nicht zuviel zeigt auf der Bühne. Das schaut sonst nicht schick aus und die Leute sollen die Musik genießen und nicht nur schauen, welche Frau welches Kleid anhat.“

Florian Kobler, wien.ORF.at

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