U6: Drogen dealen - was sonst?

Die Polizei bekämpft den Drogenhandel entlang der U6. Die Maßnahmen sind bekannt. Unbekannt sind aber die Schicksale der Menschen, die Drogen verkaufen. Wien.ORF.at hat sich in ihrer Welt umgesehen: „Viele mögen uns nicht!“

„Mir ist langweilig. Ich habe keinen Job, dabei würde ich so gerne arbeiten. Ich habe nichts zu tun den ganzen Tag, also stehe ich hier und verbringe so meine Tage. Zu Hause war ich Fahrer, ich würde hier wieder als Fahrer arbeiten. Hast du einen Job für mich?“, sagt N. (möchte anonym bleiben). Er kommt aus Nigeria und verbringt seine Tage bei der U6-Station Thaliastraße. Seit sechs Monaten wartet er darauf, dass es in irgendeine Richtung weitergeht.

Thaliastraße

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Besonders reger Drogenhandel herrscht bei der U-Bahn-Station Thaliastraße

„Wir haben nichts zu tun, den ganzen Tag. Das ist schrecklich“, sagt auch sein Freund K., der ebenfalls aus Nigeria nach Österreich gekommen ist. Die beiden sind 17 und 20 Jahre alt. Sie stehen beim Ausgang der U-Bahn und warten, dass sie angesprochen werden. Immer wieder schauen sie auf ihre Handys, immer wieder kommen Kumpels und auch Kunden vorbei.

„Gehen naiv Geschäfte ein“

„Es gibt viele, die herumhängen und nichts zu tun haben. Wenn man ein junger Erwachsener ist und kein Geld hat, kommt man auf dumme Gedanken. Sie gehen naiv ein scheinbar nicht so risikoreiches Geschäft ein - sie tragen ja nur ein Packerl von A nach B“, sagt Klaus Priechenfried, Leiter von Neustart Wien, einem Verein für Bewährungshilfe, Konfliktregelung und Soziale Arbeit.

Schärferes Vorgehen gegen Drogendealer

Laut dem neuen Suchtmittelgesetz droht Drogendealern an U-Bahnhaltestellen und anderen öffentlichen Plätzen künftig eine Haftstrafe von bis zu zwei Jahren - auch dann, wenn sie nicht eindeutig als gewerbsmäßige Händler überführt werden. Anlass für diese Verschärfung des Suchtmittelgesetzes ist die zuletzt stark wachsende Drogenszene in Ballungsräumen, vor allem in Wien.

Es gibt laut Priechenfried noch zwei weitere Gruppen an Drogenhändlern: Kleindealer im Auftrag von großen Banden und Menschen, die selber süchtig sind und sich so finanzieren. „Die die das aber wirklich machen, um auf großem Niveau Geld zu verdienen, mit denen kommen ich und die Polizei gar nicht bis kaum in Kontakt. Gefasst und gesehen werden nur die anderen zwei Gruppen“, so Priechenfried. N. und K. gehören zur ersten Gruppe.

Finanzielle Last als wichtiges Motiv

Die Drogendealer der U6 stammen vorrangig aus Nord- und Westafrika, die meisten sind zwischen 18 und 30 Jahre alt und in einem laufenden Asylverfahren, so der Sprecher der Wiener Polizei, Roman Hahslinger, gegenüber wien.ORF.at.

Thaliastraße

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Viele verbringen jeden Tag bei der U-Bahn-Station

„Man muss sich den Hintergrund vor Augen halten: Ihre Reise nach Europa wurde oft mit vielen tausenden Euros von ihren Familien und Freunden finanziert, die sich ein Return of Investment erwarten. Die Person leidet also unter einem gewaltigen Druck, die Investitionen zurückzuzahlen“, sagt Erwin Ebermann von der Universität Wien mit dem Forschungsschwerpunkt Integration von Afrikanerinnen und Afrikanern in Österreich.

Tagesbeschäftigung wird gefordert

Die Fluchtgründe sind bekannt: Nigeria ist eines der instabilsten Länder der Welt und im Norden wütet die Terrororganisation Boko Haram. Um die Schulden also zurückzuzahlen, muss so schnell wie möglich Geld beschafft werden. Während des Asylverfahrens ist dies jedoch kaum bzw. nur beschränkt möglich. „Also sehen viele unter den derzeitigen Voraussetzungen illegale Tätigkeiten als die einzige Möglichkeit“, so Ebermann.

„Ein Zugang zum Arbeitsmarkt wäre dringend notwendig. Da das aufgrund der aktuellen Arbeitslosenquote jedoch unrealistisch ist, braucht es zumindest eine Beschäftigung: Ausbildungen, Deutschkurse, Qualifizierungsmaßnahmen etc. Eine Tagesstruktur ist enorm wichtig. Es benötigt einen Platz, wo man erwartet wird, wo man fehlt, wenn man nicht auftaucht. Es ist egal, ob das ein Ort des Lernens oder der Arbeit ist“, so Priechenfried.

„Repressive Maßnahmen funktionieren begrenzt“

Bisher wurde vor allem mit repressiven Maßnahmen reagiert. Die Polizei verstärkte ihre Präsenz, die Wiener Linien stellten vermehrt Securities ein und ab Juni stellt das neue Suchtmittelgesetz Dealen im öffentlichen Raum mit bis zu zwei Jahren Haft unter Strafe. „Man weiß aus Erfahrung, dass das aber nur begrenzt funktioniert. Die Szene verlagert sich eher, als dass das Problem weg ist“, so Walter Fuchs, Kriminalsoziologe.

Drogenreportage

ORF

Viele der Dealer haben nichts Besseres zu tun

„Viele Menschen hier mögen uns nicht, das spüre ich. Auch die Polizei kontrolliert uns scharf. Ich will einfach nur was zu tun haben untertags“, sagt K. während ein Polizeiwagen vorfährt. „Ich verstehe, dass es im Interesse der Bevölkerung ist, die verunsichert ist, polizeiliche Maßnahmen zu verstärken. Gleichzeitig muss man sagen, dass die Dealer bei der U6 für unbeteiligte Dritte zwar lästig, aber in aller Regel völlig ungefährlich sind“, so Fuchs. Auch er plädiert für Maßnahmen, die vor allem den Arbeitsmarkt, die Integrationspolitik und die Sozialarbeit betreffen.

„Bildungscard kann auch bei U6 helfen“

Vergangene Woche präsentierten Integrationsstadträtin Sandra Frauenberger (SPÖ) und Sozialstadträtin Sonja Wehsely (SPÖ) die Strategie "Integration ab dem 1. Tag – Ganzheitliche Integrationsbegleitung für jeden Flüchtling“. Es wird eine Bildungscard für Asylwerber ausgestellt. Unter anderem sollen damit Bildungsberatung und Deutschkurse zugänglich werden.

Bis Jahresende soll damit jeder Asylwerber in Wien von Anfang an gefördert werden - mehr dazu in Bildungskarte für Asylwerber. Stefanie Grubich, die Pressesprecherin von Frauenberger: „Damit soll vor allem eine Tagesstruktur gegeben werden. Wir machen das aber aufgrund der allgemeinen Situation, nicht spezifisch wegen der U6. Es kann aber auch hier helfen.“

Lisa Rieger, wien.ORF.at

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