Brunnenmarkt: „Schmuddelig, nicht unsicher“

Arno Pilgram ist von Beruf Kriminalpsychologe. Er wohnt seit 40 Jahren am Brunnenmarkt, dort, wo vor wenigen Tagen eine 54-Jährige erschlagen worden ist. Der Brunnenmarkt sei trotzdem keine Gegend, die man meiden müsse.

„Vor 40 Jahren war das eine Gegend, die wenig Flair besessen hat. Es war nichts von dieser heutigen künstlerischen Szene da. Es war aber schon klar, dass die Zuwanderer hier schon sehr präsent waren. Es war ein Stadtteil, wo man billig wohnen konnte, die Verkehrsinfrakstruktur und die Geschäfte, das war ok und attraktiv“, erzählt Arno Pilgram, der sich damals am Brunnenmarkt eine Wohnung gekauft hat.

TV-Hinweis:

„Wien heute“, 6.5.2016, 19.00 Uhr, ORF 2, und danach in tvthek.ORF.at

Dass der Ruf des Grätzels etwa in den 1970er-Jahren kein besonders guter war, erläuterte er im „Wien heute“-Interview anhand eines Beispiels aus seiner Familie: Die aus Tirol stammende Nichte seiner Frau sei zum Studium nach Wien gekommen. Als ihre Eltern gehört hätten, dass sie sich in Ottakring niederlassen werde, seien sie entsetzt gewesen. Sie hätten den Bezirk zwar nicht gekannt, aber dessen Ruf sei sogar in Tirol bekannt gewesen.

Schmuddel-Image lastet schwer am Brunnenmarkt

Bis heute kann der Brunnenmarkt sein schmuddeliges Image schwer ablegen. Das gleiche gilt auch für den Praterstern. Warum ist das so? Wenn ein Bezirk einmal ein Profil hat, so der Kriminalpsychologe, bekommt man es trotz Bezirksoffensiven, Sozialarbeit und mehr Polizei, schwer weg, denn „es gibt eine große Neigung zu Konformität. Also eine große Neigung, zu sagen, wenn alle sagen, dass sie sich fürchten, dann sag ich das auch. Und das eigene Gefühl und die eigene Erfahrung zählt gar nicht.“

Ein weiterer Grund: Fakten aus der Kriminalstatistik, die jährlich ein generelles Sinken der Kriminalität nachweisen und Wien als sicherste Stadt Europas ausweisen, kommen als Nachricht einfach nicht mehr an.

Arno Pilgram

ORF

„Kein Grund, bestimmten Regionen auszuweichen“

Arno Pilgram sieht sich für eine Studie über „Migration und Sicherheit“ gerade die Kriminalstatistiken ab 2001 an. Kann er daraus herauslesen, dass Migration die Stadt unsicherer macht? Pilgram antwortet diplomatisch: „Migration macht unsere Stadt größer, mit wachsender Bevölkerung steigt die Kriminalität.“

Trotzdem dürfe man nicht behaupten, dass der Brunnenmarkt oder der Praterstern zu unsicheren Gegenden geworden sind. Das sei Propaganda, an der auch die Medien schuld seien: „Man kann in einer Metropole wie Wien nicht damit rechnen, dass es Verhältnisse wie in einem Dorf gibt. Jeder ist gut beraten, sich in der Öffentlichkeit vernünftig zu verhalten. Es gibt aber keinen Grund, bestimmten Regionen auszuweichen, auch hier am Brunnenmarkt nicht.“

Die Angst und die Beschwerden über die Angst seien eher an die Politik gerichtet. Eigentlich sei damit gemeint „Ihr tut zu wenig für mich“, so Pilgram. Genau dort sei auch der erste Ansatz zu einer anderen Wahrnehmung zu suchen - bessere Kommunikation auf allen Ebenen, so der Kriminalpsychologe.

U-Haft für mordverdächtigen Kenianer

Über jenen Kenianer, der am Brunnenmarkt eine 54-Jährige ermordet haben soll, wurde am Freitag die U-Haft verhängt. Die Volksanwaltschaft prüft die Rolle der Polizei und ist sicher, der Mord hätte verhindert werden können - mehr dazu in Mord in Ottakring: U-Haft verhängt.