„Mein Kampf“: Rätsel um Verkaufszahlen

Im Jänner ist die kritisch kommentierte Neuauflage von „Mein Kampf“ erschienen. Das Buch ist schnell in den deutschen Bestsellerlisten nach oben geklettert. In Österreich will man keine Verkaufszahlen nennen.

In schlichtem, nüchternem Grau tritt die kritisch kommentierte Neuauflage von Adolf Hitlers „Mein Kampf“ auf - herausgegeben vom deutschen Institut für Zeitgeschichte (IfZ). Ein Bestseller sollte das Buch nicht werden, im Gegenteil. Um das zu verhindern, wurde der Preis auf 59 Euro - in Österreich 60,70 Euro - festgelegt. Das Werk sollte „nicht verschleudert“, aber dennoch gelesen werden, hieß es vonseiten des IfZ.

Doch der zweibändige Wälzer war schnell vergriffen. Die erste Auflage beschränkte sich auf nur 4.000 Stück. Im Februar wurde das Buch - bereits in dritter Auflage - in Deutschland über 24.000-mal verkauft. „Mein Kampf“ landete auf Platz elf der „Spiegel“-Bestsellerliste. Bis heute wurden knapp über 80.700 Stück verkauft.

Kritische Neuauflage von "Mein Kampf"

Institut für Zeitgeschichte

„Mein Kampf“ wird wieder unverhoffter Bestseller

Verkaufserlös wird gespendet

Österreichische Buchhändler blieben zunächst zögerlich, die kritische Edition der Propagandaschrift zu vermarkten. Thalia wollte das Werk im Jänner noch nicht in seinen Filialen führen, bot es aber auf Bestellung an. Die Buchhandlung Morawa entschied sich nach Absprache mit dem Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW) dazu, das Buch zwar zu verkaufen, aber nicht in den Auslagen zu bewerben, und kündigte außerdem an, den Verkaufserlös an das DÖW zu spenden - mehr dazu in „Mein Kampf“ nur teilweise im Regal.

Ein halbes Jahr später ist die kritische Edition bei Thalia auf Platz 16 der am häufigsten verkauften Sachbücher. Die genaue Zahl der erstandenen Werke konnte nicht herausgefunden werden. Morawa möchte ebenfalls nicht bekanntgeben, wie viele Exemplare seit Jänner verkauft wurden, doch es waren nach eigenen Angaben „nicht wenige“. Nun spendet die Buchhandlung 6.300 Euro an das DÖW.

Geschätzte 8.000 Exemplare in Österreich

Auch Amazon sagt nicht, wie viele Exemplare der kritisch kommentierten Edition über den virtuellen Ladentisch gingen. Der Versandriese spendet den Erlös an eine gemeinnützige Organisation, möchte aber auf Anfrage von wien.ORF.at nicht verraten, um welche Organisation es sich dabei handelt.

Vom IfZ gingen 1.440 Stück direkt an Österreich. Das schließt jedoch nicht die Zahl der Bücher, die von deutschen Großhändlern an österreichische Buchhandlungen geliefert wurden, ein. Die eigentliche Menge der in Österreich verkauften Bücher dürfte also wesentlich höher sein. Das IfZ schätzt, dass zehn Prozent der Gesamtverkaufszahl über österreichische Ladentische gingen - das sind rund 8.000 Stück.

Bayern wollte Neuauflagen verhindern

Die umstrittene Edition ist das Werk eines vierköpfigen Historikerteams des IfZ unter der Leitung von Christian Hartmann. Das Team - darunter ein Österreicher - arbeitete drei Jahre lang daran, Hitlers Propagandaschrift in einen zeitgeschichtlichen Kontext zu setzen und seine Thesen zu widerlegen. Anlass dafür war das Anfang des Jahres auslaufende Urheberrecht, das bis dahin der Freistaat Bayern gehalten, und der hatte eine Neuauflage verhindert - mehr dazu in „Schwierig, so ein irres Gebräu zu widerlegen“. (science.ORF.at)

Für das Erscheinungsdatum der Edition bemühte sich das IfZ um die Einhaltung des Termins am 8. Jänner 2016 - wenige Tage nach Ablauf des Urheberrechts - um anderen Mitbewerbern „das Wasser abzugraben“, so Hartmann. Man befürchtete, dass ansonsten unzureichend kommentierte Fassungen der Hetzschrift den Markt überfluten könnten. Die Überarbeitung von Hitlers „Mein Kampf“ umfasst etwa 3.700 Fußnoten auf knapp 2.000 Seiten.

„Mein Kampf“ war immer erhältlich

Amazon-Kunden und -Kundinnen geben dem Buch nun drei von fünf Sternen auf der Onlineplattform. Viele loben seine Ausführlichkeit und seinen schönen Einband in der Kommentarspalte. Andere bezeichnen Herausgeber Hartmann als „Oberlehrer“ und geben sogar Anleitungen, wo unkommentierte Originalausgaben von „Mein Kampf“ zu bekommen sind.

Tatsächlich mussten Menschen, die Hitlers Hetzschrift im Original lesen wollten, nicht auf den Ablauf des Urheberrechts Ende 2015 oder gar auf das Erscheinen der kritischen Edition des IfZ warten. Im Ausland gab es immer die Möglichkeit, übersetzte und sogar deutsche Versionen von „Mein Kampf“ ohne Widerspruch und Kommentar zu erstehen. Auch auf heimischen Flohmärkten findet man immer wieder vereinzelt Exemplare. In seiner Verbreitung wird die kritische Edition das millionenfach an den Mann gebrachte Original also nicht so schnell überholen.

Theresa Loibl, wien.ORF.at

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