Ärzteprotest mit Schulung

Mit einer Versammlung und einer arbeitsrechtlichen Schulung hat die Ärztekammer im Streit um die neue Arbeitszeitregelung einen Protest gesetzt. PR-Experten sehen „einseitige und emotionale“ Argumentation der Ärztekammer.

„Der Krankenanstaltenverbund hat die Kolleginnen und Kollegen massiv unter Druck gesetzt. Streikende Kollegen sollen gemeldet werden, deswegen ist die rechtliche Informationen besonders wichtig“, begründete Thomas Szekeres, Präsident der Wiener Ärztekammer, am Mittwoch die Informationsversammlung im Campus der Wirtschaftsuniversität. Die Veranstaltung sei außerhalb der Dienstzeit der Ärzte.

Das Streikrecht sei fundamental, so Szekeres, der der zuständigen Stadträtin Sonja Wehsely (SPÖ) vorwarf, politische Grundsätze über Bord zu werfen: „Die Gründerväter der Sozialdemokratie rotieren im Grab.“

Arbeitsrechtler sieht Spielraum für Streik

Rund 400 Mediziner lauschten einem Vortrag von Arbeitsrechtler Franz Marhold. Der WU-Professor stellte dabei klar: Eine Arbeitsniederlegung ist ein Grundrecht. „Es gibt in Österreich keine Streikverbote mehr“, versicherte er. Lediglich einige Grundsätze seien in Sachen Arbeitskampf einzuhalten. So bestehe eine „Friedenspflicht“. Sie besagt laut dem Juristen, dass ein Sachverhalt, über den man sich geeinigt hat, nicht mehr Anlass für eine Streikmaßnahme sein darf.

„Das wirft Ihnen Ihr Interessensgegner vor“, verwies er auf die Rechtsmeinung des Krankenanstaltenverbunds (KAV), der davon ausgeht, dass es eine gültige Einigung mit der Ärztekammer gibt, über die nicht mehr verhandelt werden muss. Laut Marhold zeichnet sich der Pakt aber durch „jede Menge offenen Regelungsbedarf“ aus. Sprich: Spielraum für einen Streik gibt es laut Marhold sehr wohl. Ein Streik müsse zudem verhältnismäßig sein, wie er ausführte. Ein flächendeckender unbefristeter Ärztestreik wäre darum unzulässig.

Was in Österreich vor nicht allzu langer Zeit sehr wohl möglich war: Die Entlassung von Streikenden. Dass Kampfmaßnahmen erlaubt waren, verhinderte nicht automatisch arbeitsrechtliche Konsequenzen. Inzwischen besage die Judikatur jedoch, dass eine Arbeitsniederlegung keinen Kündigungsgrund darstelle. Marhold führte hier etwa den Artikel 11 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) ins Treffen.

Kein Entgeltanspruch bei Streik

Der arbeitsrechtskundige Vortragende stellte gleichzeitig aber auch klar: Ein Entgeltanspruch besteht während des Streiks nicht. In diesem Zusammenhang hielt er es auch für zulässig, dass der KAV Abteilungsleiter angewiesen hat, die Namen von streikenden Kollegen zu nennen: „Der Arbeitgeber muss ja erfahren, wer gestreikt hat.“ Wichtig sei, dass während des Warnstreiks ein Notdienst gewährleistet ist. Jedoch: Dieser sei vom KAV zu organisieren. „Das ist eine Verpflichtung“, zeigte sich Marhold überzeugt.

TV-Hinweis:

„Wien heute“, 7.9.2016, 19.00 Uhr, ORF2 und danach online unter tvthek.ORF.at.

Die KAV-Ärzte wollen am 12. September vorübergehend in den Ausstand treten. Bei diesem Streik soll es laut Szekeres nur einen Betrieb „ähnlich wie an einem Feiertag“ geben, Notfälle werden auf jeden Fall behandelt. Die Ärztekammer hatte zuletzt den Druck erhöht: Seit Montag gibt es eine Bürgerpetition gegen den Krankenanstaltenverbund, die Kammer verschickt Info-Folder gegen Sparmaßnahmen Im Hintergrund kämpfen Ärztekammer und die Stadt um die Gunst der Bevölkerung - mehr dazu in Ärztekammer mit Bürgerpetition gegen KAV.

KAV schließt Nachverhandlung aus

„Wir im Krankenanstaltenverbund setzen unsere Verträge um, die Ärztekammer bricht die Verträge“, sagte Udo Janßen, Generaldirektor des KAV, am Mittwoch in einem „Wien heute“-Interview. Zum Streik am Montag fürchtet er eine „Gefährdung der Patienten, die der Profession der Ärzte insgesamt nicht förderlich ist“. Nachverhandlungen schloss er weiter aus: „Wir haben einen aufrechten Vertrag, innerhalb dieses Vertrags werden wir unsere Maßnahmen umsetzen.“

Die Wiener Patientenanwältin Sigrid Pilz hat in der ORF-Sendung „heute mittag“ befürchtet am Montag sowohl in Ambulanzen als auch in den Stationen mit längeren Wartezeiten: „Das ist von der Ärztekammer nicht verantwortbar.“ Die Patienten würden für Standesinteressen instrumentalisiert, die Verlagerung von Nachtdiensten in den Tagdienst sei „vernünftig“, so Pilz. „Man darf aber nur dort Nachtdienste reduzieren, wo es auch reduzierbar ist. In einigen Abteilungen muss es genügend Personal geben“, meinte Pilz.

Kritik an Ärztekammer

Patientenanwältin Sigrid Pilz kritisierte, dass die Ärztekammer durch die Protestmaßnahmen Patienten instrumentalisieren würde.

Argumentation „einseitig und emotional“

Aus PR-Sicht macht die Kammer einen guten Job, so der Wiener Agenturchef Wolfgang Rosam gegenüber Radio Wien: „Weil sie nämlich genau bei der Zielgruppe ansetzt, mit der sie auf die Politik enormen Druck ausüben kann - sprich den Patienten.“ Gleichzeitig kritisiert Rosam aber das Vorgehen der Ärztekammer: „Man argumentiert sehr einseitig und emotional, um nicht zu sagen populistisch.“

In dem Info-Folder der Ärztekammer gibt es Comics zu sehen. Darunter heißt es etwa: „Wenn sie das nächste Mal krank sind - sollte nicht bei den Ärzten gespart werden.“ Die Sachinformation bleibe bei der emotionalen Strategie der Ärztekammer auf der Strecke, sagt der Wiener PR-Experte Axel Zuschmann von Ecker & Partner: „Der Patient stellt sich nur mehr die Frage, glaubt er der Stadtverwaltung oder glaubt er den Ärzten. Angst hat er auf jeden Fall.“

PR-Experte: „Es braucht konstruktiven Dialog“

Wie die Wiener Ärztekammer hat auch der KAV mittlerweile PR-Strategen engagiert. So sollen etwa Primarärzte als Testimonials in Medienberichten zu Wort kommen. Doch Zuschmann warnt vor einem möglichen Imageschaden für beide Seiten: „Das kann sich nicht in PR-Schlachten erschöpfen, sondern das braucht auch einen konstruktiven Dialog. Und den vermisst die Bevölkerung wahrscheinlich auch.“ Stadt und KAV haben verwiesen mehrmals auf das bereits 2015 ausverhandelte Maßnahmenpaket. Man stehe deshalb für keine Nachverhandlungen zur Verfügung.

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