Nöstlinger: „Vielleicht war ich auch ganz anders“

Ihre Werke sind seit Generationen Gutenachtlektüre gewesen. Zu ihrem 80. Geburtstag sprach sie im Interview mit „Wien heute“ über ihre Jugend, warum sie nie brav war und ihr Computer manchmal ihr Feind war.

Christine Nöstlinger wurde 1936 in Hernals geboren und wuchs im Zweiten Weltkrieg auf, als Bomben auf Wien abgeworfen werden. In ihrem Buch „Maikäfer flieg!“, das als Film auch im Kino lief, hat sie ihre Kindheitserinnerungen an das Wien des untergehenden Nazi-Terrors beschrieben. „Maikäfer flieg!“ ist eines ihrer über 100 Kinder und Jugendbücher, die in Dutzende Sprachen übersetzt sind.

Ihr erstes Buch war „Die feuerrote Friederike“, das 1970 nur durch Zufall entstanden ist, weil es eigentlich als Bildergeschichte geplant war und das Schreiben dazukam. Nur Mama und Hausfrau sein, das war nichts für Christine Nöstlinger. Emanzipation und Gleichberechtigung sind bis heute ihre Themen. Wer aber an Nöstlinger denkt, denkt wohl an die Stunden, die man als Kind mit ihren Werken in der Hand verbracht hat. Wie es sich anfühlt, 80 zu sein, und warum sie einem Kind erst das Prinzip eines Bilderbuchs erklären musste, erzählte sie 2016 im „Wien heute“-Interview.

Christine Nöstlinger

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Christine Nöstlinger bei Patrick Budgen im „Wien heute“-Studio

wien.ORF.at: Für viele Kinder, wie meinen Neffen zum Beispiel, ist 35 schon uralt. Wie erklären Sie denn Ihren jungen Lesern das Alter 80?

Christine Nöstlinger: Ich erkläre das meinen Lesern gar nicht, wie sich 80 Jahre anfühlen, ich glaube, das interessiert meine Leser auch gar nicht. Und ich komm mir mit 80 auch nicht viel anders vor als mit 79 oder 78 – es gibt natürlich Tage, da komme ich mir vor wie 120, und dann gibt’s auch Tage, da komme ich mir jünger vor.

wien.ORF.at: Sie haben sich Ihr halbes Leben lang in Kinder hineinversetzt, um zu schreiben - hält das jung?

Nöstlinger: Das kann ich selber nicht beurteilen, manchmal hört man so komische Sachen, wie „im Herzen jung geblieben“. Ich bin auch nicht im Herzen jung geblieben. Gott sei Dank hab ich meine Erfahrungen und hab die auch für mich verwertet.

wien.ORF.at: Wir haben heute in der Redaktion heftig diskutiert, welche die beste Nöstlinger-Figur ist. Welche haben sie denn am liebsten, warum?

Nöstlinger: Am meisten Christine Nöstlinger steckt in den Büchern, die ich über meine Kindheit geschrieben habe, die zwei. Aber natürlich gibt es immer Kinder, die gewisse Ähnlichkeiten mit mir als Kind haben, oder sagen wir besser so: Wie ich mich an mich erinnere, vielleicht war ich auch ganz anders. Erinnerungen trügen ja auch oft.

Christine Nöstlinger

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Nöstlinger setzte sich auch für Emanzipation und Gleichberechtigung ein

wien.ORF.at: Aber brav waren Sie nicht?

Nöstlinger: Nein, ich war nicht brav. Aber das ist mir leicht gefallen, nicht brav zu sein, weil meine Schwester und ich in der Gegend die einzigen Kinder waren, die nie geschlagen wurden, die nicht einmal eine Dachtel bekamen, die auch keine Strafen bekamen – also es war relativ leicht für mich, nicht brav zu sein.

wien.ORF.at: Mit fast 80 sind andere seit mindestens 15 Jahren in Pension, Sie sind nach wie vor aktiv. Wie verbringen Sie ihre Tage?

Nöstlinger: Früher habe ich wirklich sehr viel gearbeitet, da kann man schon fast sagen, ich war ein „Workaholic“. Ich habe ja nicht nur Bücher geschrieben, ich habe auch jeden Tag einen Zeitungsartikel geschrieben. Aber jetzt arbeite ich eigentlich nur, wenn ich Lust dazu habe. Es gibt Tage, da arbeite ich überhaupt nichts. Es gibt sogar Tage, da umschleiche ich meinen Rechner, als ob er mein Feind wäre, und will ich nicht einmal aufklappen.

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Christine Nöstlinger im „Wien heute“-Studio

Zu ihrem 80. Geburtstag sprach Autorin Christine Nöstlinger im „Wien heute“-Interview mit Patrick Budgen über ihre eigene Kindheit und warum sie die heutige Jugend nicht immer versteht.

wien.ORF.at: Ich habe ein Interview gelesen, wo Sie gesagt haben, Sie können sich nicht mehr in die Jugend von heute hineinversetzen, warum nicht?

Nöstlinger: Weil ich zu weit davon entfernt bin und weil ich auch mit niemandem dieser Altersgruppe zusammenlebe. Ich finde diese jungen Menschen genauso intelligent oder vielleicht in manchen Dingen noch intelligenter als frühere Generationen, aber ich versteh einfach nicht, warum jemand 20-mal am Tag ein Selfie macht. Ich bin groß geworden mit Kindern, die sich nicht fotografieren lassen wollten und Gesichter geschnitten haben, wenn der Onkel mit der Kamera kam. Ich verstehe auch nicht, was sie eigentlich tun, wenn sie auf ihren Smartphones herumwischen.

wien.ORF.at: Sie haben eine lustige Geschichte erzählt: ein Kind, das nicht einmal wusste, wie man ein Bilderbuch bedient.

Nöstlinger: Das war ein sehr kleines Kind. Ich hab ihm ein Bilderbuch gegeben, und der hat auf den Deckel geschaut und dann hat er zu wischen begonnen und war ganz fasziniert, wie ich ihm gezeigt habe, dass man das aufklappen kann.