Wiens letzter Fleischer, der schlachtet

Die Fleischerei Hödl ist der letzte Kleinbetrieb in Wien, der selbst schlachtet. Auch die Zahl von Fleischereien, die nur verarbeiten, ist in den letzten Jahren stark gesunken. Der Großhandel sei schuld, so die Wirtschaftskammer.

Die Stadt erwacht, während vier Männer die Plastikschürzen anlegen. Fleischermeister Leopold Hödl, sein Sohn Christoph Hödl und zwei Lehrlinge bringen die Sägen, Messer und Äxte zum Einsatzort. Die weißen Fliesen in der Schlachthalle glänzen. Um 5.30 Uhr sind drei Rinder von einem Bauern aus dem Tullnerfeld geliefert worden. Sie wiegen 600 bis 700 Kilogramm, sind zwischen 16 und 20 Monate alt. Die Tiere warten auf der Ladefläche eines Wagens. Ihre Augen blicken durch das Gitter.

„Stressfreies“ Schlachten

Dann beginnen die Fleischer mit ihrer Arbeit. Die Tiere werden betäubt und danach sofort getötet. Dampf steht wie Nebel im Raum, ein scharfer Blutgeruch liegt in der Luft. Jeder Axthieb, jeder Messerstich, jedes Abtrennen müsse haargenau stimmen, erklärt Hödl. Vor allem im Magen des Tieres seien so viele Bakterien, dass man das ganze Fleisch wegschmeißen müsste, wenn etwas ausrinnen würde. Mit strammen Axthieben trennt er die Rippen ab.

Leopold Hödl ist der letzte seiner Art. Er ist der letzte Fleischer Wiens, der selbst schlachtet. „Bei mir werden die Viecher richtig geschlachtet, also stressfrei. Die werden nicht herumgeführt in ganz Europa oder Österreich“, erklärt Hödl. Sein Fleisch bezieht er aus dem Tullnerfeld, beispielsweise von Bauern aus Würmla und Asperhofen, aber auch aus der Buckligen Welt. Vor und nach der Schlachtung muss ein Tierarzt die Rinder untersuchen. Als einziger Hausschlachter bekommt Hödl von den Doktoren besonders viel Aufmerksamkeit.

Großhandel verdrängt Tradition

Die Zahl der Wiener Fleischer hat sich in den letzten Jahren stark verringert. 1960 prägten 1.400 Fleischereien das Wiener Stadtbild. Heute sind es nur noch 134. Bis auf die Fleischerei Hödl verarbeiten die Fleischhacker ihr Produkt allerdings nur noch. So auch Erwin Fellner. Er ist Fleischhacker, Berufsgruppenobmann der Wiener Fleischer und stellvertretender Innungsmeister in der Wirtschaftskammer Wien.

Die Theke von Erwin Fellner ist mit Hausgemachtem bestückt

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Lebensmittelrichtlinien der Europäischen Union, Dokumentationspflichten, aber vor allem der Großhandel seien dafür verantwortlich, dass viele Fleischer zusperren: „Ich hab links eine große Handelskette und rechts. Früher war das halt anders. Da waren noch die Fleischhacker das dominierende in dieser Stadt Wien“, sagt Fellner - mehr dazu in Fleischerei Trünkel sperrt im April zu.

Fellner wolle sich allerdings nicht beklagen: „Es ist wichtig, immer wieder flexibel zu sein und Alternativen zu schaffen, um gegenüber diesen großen Handelsketten zu bestehen.“ Wer das mache und auch die notwendige Portion Idealismus mitbringe, der könne auch im Jahr 2016 als Fleischer bestehen, so Fellner. Aber warum schlachtet niemand mehr selbst – von Hödl abgesehen?

„Jede Arbeitskraft ausgelastet“

Berufsgruppenobmann Fellner erkennt mehrere Gründe. Er nennt ein Beispiel: „Laut EU-Auflage darf Fleisch die Kerntemperatur von maximal sieben Grad nicht unterschreiten. Das ist vor allem in den heißen Sommermonaten sehr schwierig.“ Dass ein Tierarzt jeden Schlachtvorgang überprüfen und der Schlachter ihn genauestens dokumentieren muss, würde die Betriebe überfordern: „Bei den kleinen Fleischern ist eigentlich jede Arbeitskraft so ausgelastet, dass für diese zusätzlichen Dokumentationen keine Zeit übrig ist.“

Muss auf jedem Tier kleben: Plakette mit Gewicht, Schlachttag und Bauer

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Einen Trend, dass Menschen wieder vermehrt zu Fleischhackern gehen, gibt es laut Wirtschaftskammer Wien nicht - auch wenn laut Studien 45 Prozent der Konsumenten angeben, ihre Ware lieber direkt beim Fleischer an der Theke zu kaufen. Jeder Wiener isst im Jahr 65 Kilogramm Fleisch. Der Großteil des Bedarfs wird durch Supermärkte gedeckt.

Familienbetrieb mit „Leib und Seele“

Hödl schlachtet Schweine, Rinder und Kälber. Er kann nicht genau sagen, wie viel Kilogramm er pro Jahr verarbeitet. „Das hab ich noch nie nachgerechnet“, meint er und lacht. Stolz erzählt er von seinem ersten Mal als Schlachter: „Das war ein kleines Schwein, das hab ich für einen Berufswettkampf in der Berufsschule hergerichtet. Ich hab dem Vater gesagt, ich mach ein Schweind’l. Der hat gemeint, das geht aber nur, wenn du es selber abstichst. Dann hab ich sie selber abgestochen, die Sau.“

Schlachten, verarbeiten, verkaufen: Die Produktionskette der Fleischerei Hödl

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Die Fleischerei Hödl gibt es seit 1960. Hödls Vater hat das Haus damals gekauft und in weiterer Folge auch umliegende Gebäude erworben, um den Betrieb zu erweitern. 1990 übernahm Leopold den Hof. Sein Sohn Christoph ist der nächste in der Erbfolge.

Das meiste Fleisch wird direkt an der Theke, im Laden, verkauft. Weitere Kunden Hödls sind Wirte in der Umgebung und der Rosenhügel. Hödl will keine genauen Umsatzzahlen verraten. Aber das Geschäft funktioniere: „Für mich schon, weil ich mit Leib und Seele ein Fleischhacker bin.“

Michael Hammerl, wien.ORF.at

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