Fotografielegende Bruce Davidson im WestLicht

Die Retrospektive im WestLicht zu Bruce Davidson ist die bisher größte des Vertreters der humanistischen Fotografie. Und doch repräsentiert sie nur einen Bruchteil seines fast 60 Jahre umspannenden, unentwegten Schaffens.

Es ist eine eindringliche Reise durch Davidsons Karriere, aber auch durch die amerikanische Geschichte, die das Wiener Publikum antreten kann. Chronologisch als klassische Retrospektive aufgebaut, führt die Schau von Davidsons erster, während seines Militärdienstes entstandener Serie „The Walls“ über seine berühmtesten Arbeiten „Brooklyn Gang“, „East 100th Street“ und „Time of Change: Civil Rights Movement“ bis hin zu seiner jüngsten Serie, „Nature of Los Angeles“.

Von Frank und Carter-Bresson beeinflusst

Auch weniger bekannte, eigenwillige Serien wie „Garden Cafeteria“ oder „Subway“, laut Gollonet „ebenso wichtig für sein Schaffen und die Geschichte der Fotografie“, sind vertreten. „Es gibt viele Wege, diese Schau zu rezipieren“, sagt Gollonet. So bringe der Rundgang Besuchern gesellschaftliche Veränderungen in den USA, aber auch die Persönlichkeit des heute 83-Jährigen näher, habe Davidson seine Arbeit doch stets zu sich selbst in Bezug gestellt.

Zudem führt die Schau Veränderungen in Herangehensweise und Technik des Fotografen vor Augen: Sind seine Arbeiten anfangs noch von starken Schwarz-weiß-Kontrasten geprägt, zeichnen spätere Werke immer intimere Close-ups aus. Bei seinen Anfängen Mitte der 50er-Jahre noch erkennbar von großen Meistern wie Robert Frank und Henri Cartier-Bresson beeinflusst, wurde Davidson in den 70ern selbst zum Vorbild späterer Generationen.

Job bei „Life“-Magazin abgelehnt

Bresson war es, der Davidson 1958 zu Magnum Photos holte - mit 24 Jahren war er der damals Jüngste in der legendären, unabhängigen Fotografenkooperative. Eine Anstellung beim bedeutenden „Life“-Magazin hatte Davidson zuvor abgelehnt, weil er sich künstlerische Freiheit bewahren wollte.

Kommerzielle Aufträge, etwa für Mode- oder Reisemagazine, nehmen in seinem Oeuvre dennoch viel Raum ein, finanzierten sie doch Davidsons persönliche Arbeit. Eine Auswahl, darunter Aufnahmen von Marilyn Monroe, sind im höher gelegenen, kleinen Raum des WestLicht zu sehen.

Intensive Verbindung zu Protagonisten

Über Jahrzehnte unverändert blieb Davidsons Arbeitsweise, keine Einzelaufnahmen, sondern stets Serien anzufertigen, um Geschichten zu erzählen: So führt er mit einer Aufnahme aus der Weite einen Ort ein, und fokussiert dann in Porträts auf Menschen und Momente. Davidson habe sich nie als Dokumentarfotografen, sondern „als humanistischen Fotografen verstanden“, sagt Gollonet. „Er hatte stets eine intensive Verbindung zu seinen Protagonisten, hat über Wochen oder gar Monate eine Beziehung zu ihnen aufgebaut. Und ihnen immer Abzüge der Bilder geschenkt.“

Bruce Davidson

Bruce Davidson / Magnum Photos

Fotos noch heute als Zeitdokumente in Schulbüchern

Legendär ist seine erste, im New Yorker MoMa ausgestellte Serie: Mit den jungen, verlorenen Mitgliedern der „Brooklyn Gang“ verbrachte Davidson mehrere Monate, hing mit ihnen in Bars, Parks, Geschäften und am Park der Halbinsel Coney Island ab. Auf die Jugendlichen, deren Alltag von Perspektivenlosigkeit und Drogen geprägt war, sei er - wie so oft - per Zufall, über einen Zeitungsartikel, gestoßen. Nachdem er selbst eine schwierige Kindheit hatte, habe Davidson die „Kids besser verstanden als andere“, weiß Gollonet.

Zeitdokumente in Schulbüchern

Auch später blickte Davidson dort hin, wo andere wegschauten, wandte sich Subkulturen zu und bildete marginalisierte Lebenswelten ab. Seine Schwarz-Weiß-Aufnahmen von der schwarzen Bürgerrechtsbewegung der 60er-Jahre gingen um die Welt und finden sich als Zeitdokumente noch heute in Schulbüchern wieder.

Fünf Jahre lang begleitete er die Demonstranten in den Südstaaten, marschierte kilometerweit in Selma mit; das beeindruckende Ergebnis nimmt im WestLicht zu Recht den größten Raum ein. Für die nachfolgende Serie „East 100th“ indes kam er täglich an einen Block in East Harlem, klopfte an Türen, fotografierte in Armut lebende afroamerikanische Familien außergewöhnlich intim in ihren Wohnungen.

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