Familiennachzug für Flüchtlinge kaum möglich

In Wien befinden sich aktuell 909 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in der Grundversorgung. Viele werden ihre Familien nicht wiedersehen. Die Verfahren dauern oft so lange, dass der Anspruch auf Familienzusammenführung verfällt.

Viele Flüchtlinge werden auf ihrer Flucht von ihrer Familie getrennt, unter ihnen auch Minderjährige. Sie haben einen gesetzlichen Anspruch darauf, ihre Eltern nachzuholen. Einige europäische Staaten haben die Möglichkeiten dafür aber eingeschränkt - so auch Österreich. Zunächst müssen die Kinder selbst das Asylverfahren durchlaufen. Während dieser Zeit kann kein Antrag auf Familien-Zusammenführung gestellt werden. In Extremfällen kann ein Verfahren bis zu fünf Jahre dauern.

Ist das Verfahren abgeschlossen, müssen manche Minderjährige bis zu drei weitere Jahre warten, bevor sie eine Zusammenführung beantragen können. Das Problem: Die meisten sind bis dahin volljährig. Und mit der Volljährigkeit erlischt auch der Anspruch auf Familiennachzug. In Wien sind unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in diversen sozialen Einrichtungen untergebracht. Ein Großteil lebt in betreuten Wohngemeinschaften - mehr dazu in Verstärkte Suche nach Gastfamilien.

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Doaa war erst 16, als ihre Familie Syrien verlassen musste

Geschichte einer minderjährigen Flucht

Ebenfalls noch minderjährig, nämlich 16 Jahre alt, war Doaa Al Zamel, als ihre Familie Syrien verließ. Zunächst flüchteten sie nach Ägypten. Als die Zustände dort immer schlechter wurden, beschloss sie - inzwischen 19 Jahre alt - mit ihrem Verlobten Bassem ein Boot zu besteigen: „Mein Entschluss zu gehen, wurde von Tag zu Tag stärker. Die Zeit in Ägypten hat sich angefühlt wie ein langsamer Tod und dann habe ich mir gedacht, ich kann genauso gut am Meer sterben“, erzählt sie im „Wien heute“-Interview.

Sendungshinweis

„Wien heute“, 20.6.2017
19.00 Uhr, ORF 2

Zweimal schlägt der Versuch fehl, die beiden werden vorübergehend inhaftiert. Erst beim dritten Mal schaffen sie es auf ein Boot. Doch das Schiff wird absichtlich von einem anderen Boot gerammt und kentert. Viele Flüchtlinge ertrinken auf der Stelle, Doaa kann sich mit ihrem Verlobten zunächst retten. Er schafft es, der Nichtschwimmerin einen Kinderschwimmreifen zu besorgen. Sie umklammert zusätzlich ein acht Monate altes und ein zweijähriges Kind.

Doaa

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Ihre Geschichte hat Doaa aufgeschrieben, um Flüchtlingen eine Stimme zu geben

Schließlich kann Bassem nicht mehr: „Da habe ich daran gedacht aufzugeben. Ich wollte auch sterben. Als ich Bassem sterben gesehen habe, wusste ich nicht, was ich noch mit meinem Leben anfangen soll. Da habe ich überlegt selbst zu gehen“, sagt sie. Mit den Kindern im Arm kämpft sie weiter - bis sie schließlich vier Tage später von einem Containerschiff aufgelesen wird. Die Zweijährige überlebt.

„Stimmen, die sonst nicht gehört werden“

Inzwischen lebt Doaa Al Zamel in Schweden bei Verwandten. UNHCR-Sprecherin Melissa Fleming hat ihre Geschichte aufgezeichnet. „Ich habe mich entschieden, meine tragische Geschichte zu erzählen, um eine Stimme hörbar zu machen. Nicht nur meine Stimme, sondern all jene Stimmen, die sonst nicht gehört werden - von anderen Menschen, die ein ähnliches Schicksal haben“, erzählt sie. Das Buch wird am Dienstag in Wien präsentiert.

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