Gespräche mit jüdischen Emigranten publik

Interviews mit aus Wien und Österreich vertriebenen Juden sind in den USA und Israel aufgezeichnet worden. Die knapp 700 Gespräche werden nun als „Austrian Heritage Archive“ im Internet veröffentlicht.

Von den rund 210.000 Juden, die 1938 in Österreich lebten, flohen rund 30.000 in die USA und 15.000 in das spätere Israel. Gedenkdiener und Freiwillige in beiden Ländern führen seit Jahren in Kooperation mit den Leo Baeck Instituten die Interviews durch.

Unter anderem mit George Czuczka. Er wurde 1925 in Wien geboren und hat bis zu seiner Emigration im Karl-Marx-Hof in Döbling gelebt. Dort erlebte er im Alter von neun Jahren auch den Beschuss durch die Heimwehr und damit den Ausbruch des Bürgerkriegs. Czuczka Vater war Architekt, Jude und in der Sozialistischen Partei und wurde nach dem „Anschluss“ verhaftet und nach Dachau und Buchenwald gebracht.

Zwölf Lebensgeschichten beim Start

1939 konnte die Familie in die USA fliehen. Nach dem Zweiten Weltkrieg kehrte Czuczka nach Europa zurück, arbeitete für verschiedene Entnazifizierungskommissionen, war von 1951 bis 1975 Redakteur bei der „Stimme Amerikas“ und kam als Presseattache der US-Botschaft auch wieder nach Wien.

Czuczka Lebensgeschichte zählt zu den ersten zwölf, die mit Start des „Austrian Heritage Archive“ auf der Website veröffentlicht wurden. Das Gespräch mit ihm ist eines von rund 600 Interviews, großteils Audio, die von Gedenkdienern bzw. Freiwilligen (nach dem Freiwilligengesetz) in den USA aufgezeichnet wurden. Dazu kommen weitere rund 90 Video-Interviews mit Vertriebenen in Israel. Sie sollen sukzessive auf der Website zugänglich gemacht werden.

Viele unterschiedliche Lebensverläufe

Die ersten zwölf veröffentlichten Interviews seien so ausgewählt worden, „dass sie sich oberflächlich stark unterscheiden und man auch ganz unterschiedliche Lebensverläufe sieht, die mit Vertreibung und Emigration bzw. Überleben zu tun haben“, sagte Philipp Rohrbach vom Wiener Wiesenthal Institut für Holocaust-Studien im Gespräch mit der APA.

Er hat gemeinsam mit Adina Seeger vom Verein Gedenkdienst das vom Zukunftsfonds der Republik, dem Nationalfonds für Opfer des Nationalsozialismus und dem Bildungsministerium finanzierte Projekt geleitet. Die Vertriebenen sprechen darin von der Zäsur des „Anschlusses“, Erfahrungen mit Ausgrenzung und Gewalt, sie berichten über das Überleben im NS-Regime, ihre Vertreibung und Flucht, die Ankunft in der neuen Heimat und ihren Fragen zur eigenen Identität.

Fokus auf Alltagsgeschichten

Die Gespräche auf der Website sind voll transkribiert, beschlagwortet, durchsuchbar und mit lebensgeschichtlichen Materialien angereichert. „Wir zielen aber nicht nur auf ein wissenschaftliches Publikum ab, sondern auch auf historisch interessierte Personen“, erklärte Rohrbach. So gibt es etwa die Möglichkeit, die Interviews nach Bezirken auszuwählen, die in den Lebensgeschichten eine entscheidende Rolle gespielt haben.

Der Fokus der Interviews liege auf den Alltags- und Lebensgeschichten „kleiner Leute“, es gehe um jene, „die nicht im Rampenlicht gestanden sind“, sagte Rohrbach. Neben der Dokumentation der Lebensgeschichten, sei es bei den Interviews auf einer ideellen Ebene auch um eine Art der Wiedergutmachung gegangen, indem eine junge Generation von Österreichern wieder Kontakt aufnehme.

Immer weniger Zeitzeugen

Viele Gespräche seien deshalb auch nicht bloß Interviews. Rohrbach, der vor Jahren selbst als Gedenkdiener in New York Interviews geführt hat, erinnert sich etwa an ein Gespräch „mit einer Person, die am Karmelitermarkt gewohnt hat, wo auch ich aufgewachsen bin. Und dann haben wir uns plötzlich einfach über den Karmelitermarkt unterhalten“.

Es werden weiterhin Interviews geführt, wobei es angesichts der fortgeschrittenen Zeit immer schwieriger sei, Gesprächspartner zu finden, sagte Rohrbach. Das Projekt sei auch „als Antwort auf die Frage gedacht, was passiert, wenn es keine Zeitzeugen mehr gibt“. Man verfolge dabei ein pragmatischer Ansatz: „Auch wenn die aufgezeichneten Lebensgeschichten vielleicht Lücken haben, sind sie dennoch das was bleibt. Das ist ein wenig das Vermächtnis von diesen Leuten.“

Link: