Raucherregelung: Spezialist ist „fassungslos“

Die Koalitionsverhandler von ÖVP und FPÖ haben sich auf eine neue Raucherregelung in der Gastronomie geeinigt. Das ursprünglich geplante absolute Rauchverbot kommt nicht. Für einen Lungenkrebsspezialisten ist das „ein Wahnsinn.“

„85 Prozent der Lungenkrebserkrankungen in Österreich sind auf das Rauchen zurückzuführen und wären somit vermeidbar. Ich sehe jeden Tag Tragödien. Die Fünf-Jahres-Überlebensrate bei Lungenkarzinomen beträgt nur 15 Prozent. Die Erkrankung zerstört ganze Familien, weil die Kinder dann ohne Mutter oder Vater aufwachsen müssen. Jeder zweite Raucher stirbt vorzeitig“, sagte Robert Pirker, seit vielen Jahren Lungenkrebsspezialist an der Klinischen Abteilung für Onkologie von MedUni Wien und AKH.

Raucherregelung Symbolbild

APA/Helmut Fohringer

Rauchen in abgetrennten Räumlichkeiten bleibt erlaubt

Einigung auf „Berliner Modell“

ÖVP und FPÖ sollen sich bei den Regierungsverhandlungen auf eine Raucherregelung nach dem „Berliner Modell“ geeinigt haben. Das ursprünglich ab Mai 2018 geplante absolute Rauchverbot in der Gastronomie kommt laut Angaben der APA nicht. Gäste können vorerst weiter in abgetrennten Räumlichkeiten Zigaretten konsumieren - mehr dazu in news.ORF.at.

„Wenn man von einem ‚Berliner Modell‘ spricht - in Deutschland sind die Maßnahmen gegen den Tabakkonsum ja genauso schlecht wie in Österreich. Wie will man denn das alles kontrollieren? Wie will man kontrollieren, ob in einem Auto geraucht wird, in dem auch Kinder sind? Das ist eine Augenauswischerei. Ich verstehe das nicht“, sagte Pirker nach Bekanntwerden der Absichten der möglichen künftigen Koalitionspartner.

„Welt weiß, wie sehr Rauchen schädigt“

Es gebe keinerlei Rechtfertigung für ein Nachlassen in den Bemühungen, das Rauchen in Österreich zurückzudrängen, sagt Pirker. „Man kann doch nicht jungen Menschen Zugang zu einem Suchtgift ermöglichen und sie abhängig machen. Die ganze Welt weiß, wie sehr das Rauchen schädigt, nur wir in Österreich wollen offenbar gegen den Strom schwimmen.“

In der britischen medizinischen Fachzeitschrift „The Lancet“ wurden Anfang 2017 Zahlen zitiert, wonach das Rauchen weltweit pro Jahr 1.000 Milliarden US-Dollar an Schäden verursacht. „Das machen der Produktivitätsverlust und die Gesundheitskosten durch die Erkrankungen aus. Dem stehen 269 Milliarden US-Dollar an Steuereinnahmen aus dem Tabakverkauf entgegen. Da kann man doch nicht aus wirtschaftlichem Interesse für das Rauchen sein“, betonte der Onkologe.

Kritik aus dem Ausland

Die aktuelle Diskussion schädige darüber hinaus den Ruf Österreichs insgesamt, gleichzeitig die österreichische medizinische Wissenschaft und den Standort Österreich, führte Pirker an. „Ich bekomme ständig kritische Stellungnahmen von Kollegen aus dem Ausland. Ob aus Stanford in den USA oder aus anderen Staaten, alle fragen sich, was denn da in Österreich los ist, und warum man hier so lax mit dem Rauchen umgeht.“

Negativer Einfluss auf den Wissenschaftsstandort sei genauso zu erwarten, so Pirker. „Mir ist es gerade erst gelungen, von der Welt-Lungenkrebs-Konferenz (...) jeden zweiten Kongress in Europa nach Wien zu bringen. Alternierend wird das in Barcelona sein. Man kann sich vorstehen, was geschieht, wenn das Gastronomie-Rauchverbot generell nicht kommt. In Wien waren zuletzt rund 6.000 Teilnehmer, welche Gäste von Hotels und Gastronomie waren.“

Keine Lobby für Lungenkrebspatienten

Ein Problem sei, dass die Lungenkrebspatienten keine Lobby hätten. „Menschen mit niedrigem Bildungsniveau rauchen öfter. Bekommen die Raucher dann Lungenkrebs, sterben sie schnell. Und die 15 Prozent, die überleben, wollen mit der Krankheit nichts mehr zu tun haben. Bei Brustkrebs überleben hingegen rund 80 Prozent der Betroffenen, da können sich längerfristig viel mehr Patientinnen für ihre Anliegen engagieren“, sagte Pirker.

Überhaupt müsse Österreich entschieden handeln. „Wir müssen internationale Konventionen einhalten und dadurch insbesondere Kinder und Jugendliche vom Rauchen abhalten“, betonte der Onkologe. Pro Jahr werden in Österreich rund 4.000 Lungenkrebserkrankungen registriert. Lungenkrebs hat als Todesursache bei Frauen in den vergangenen zehn Jahren stark zugenommen (plus 18 Prozent). 2016 hat er den Brustkrebs als Krebserkrankung mit dem höchsten Sterberisiko bei Frauen abgelöst, geht aus den aktuellen Daten der Statistik Austria hervor.

Sima überlegt Klage

Die Wiener Umweltstadträtin UIli Sima (SPÖ) erwägt eine Klage gegen das Gesetz, mit dem Schwarz-Blau das Rauchverbot aufheben will. „Wir werden versuchen, das rechtlich auszuhebeln“, sagte sie zur „Presse“. Das ab Mai 2018 vorgesehen Rauchverbot dürfe wegen der Rechtssicherheit für Gastronomen und der Gesundheit von Gästen und Personal nicht gekippt werden.

An oberster Stelle bei Krebssterblichkeit

Diese Entwicklung ist eine Folge steigender Raucherquoten bei Frauen. Insgesamt starben 1.534 Frauen im Alter von durchschnittlich 70,2 Jahren an Lungenkrebs, der 2016 erstmals den ersten Platz beim Krebssterberisiko bei Frauen (32,9 auf 100.000 Frauen) einnahm, noch knapp vor der Sterblichkeit an Brustkrebs (32,4 auf 100.000 Frauen).

Damit rangierte Lungenkrebs sowohl bei Männern als auch erstmalig bei Frauen an oberster Stelle der Krebssterblichkeit. Insgesamt 2.415 Männer erlagen 2016 dieser Erkrankung, sie waren durchschnittlich 70,7 Jahre alt. Die Statistik Austria stellte diese Entwicklung in einen Zusammenhang mit dem geänderten Tabakkonsum: 1972 rauchten 39 Prozent der männlichen und zehn Prozent der weiblichen Bevölkerung täglich. Bei Männern nahm der Anteil bis 2014 auf 27 Prozent ab, jener der Raucherinnen stieg auf 22 Prozent.