Wiener Lesungen aus Teenager-Tagebüchern

Jeden Monat lesen Wienerinnen und Wiener im Theater an der Gumpendorfer Straße aus ihren alten Tagebüchern vor. Ein Best-of ist nun als Buch erschienen - Tagebucheinträge vom ersten Kuss bis zu historischen Ereignissen wie 9/11.

„Okay, jetzt erzähle ich dir mal was: ICH HAB MICH SCHON WIEDER VERLIEBT! Diesmal heißt er Ludwig, und irgendwie ist er total unausstehlich, aber nett“, schreibt die damals 12-jährige Tatjana 2001 in ihr Tagebuch. Diese und andere Einträge hat Diana Köhle für das Buch „Das Beste aus 4 Jahren Tagebuch Slam: Wir haben nämlich beide eine Zahnspange, aber er nur oben“ gesammelt.

Auch Hannah erzählt darin von ihrem großen Schwarm: „Hab den Hannes gestern noch 15 Mal angerufen: Mobilbox …“, während Cordula 1988 schreibt: „Heute habe ich mich mit Dominika verfeindet. Und wieder verfreundet. Ich hoffe, dass wir verfreundet bleiben.“

Auszug Tagebuch Köhle

Diana Köhle

Auszug aus Köhles persönlichem Tagebuch

Highlights unterschiedlicher Generationen

Neben Streit unter Freunden und der ersten Beziehung erzählen die Einträge vom ersten Kuss, Schullandwochen, dem Lieblingsschauspieler, in den man ein bisschen verliebt war, oder von den langweiligen Familienfeiern. Sie zeigen Trends und Highlights unterschiedlicher Generationen. Die Jugendlichen erzählen etwa von Karl May, Boris Becker und der Kelly Family.

Buchhinweis

Diana Köhle (Hg): Das Beste aus 4 Jahren Tagebuch Slam: Wir haben nämlich beide eine Zahnspange, aber er nur oben. Holzbaum Verlag, 192 Seiten, 14,99 Euro.

„Inhaltlich kommen aber die Themen Liebe und erste Beziehungen am besten an“, sagte Köhle. „Bei den oft klischeehaften Einträgen erinnern sich die Leute an die eigene Jugend zurück und merken, dass sie mit ihren Problemen gar nicht so allein waren“, sagte sie.

Alle Einträge aus dem Buch wurden bereits in einem der Tagebuch-Slams präsentiert, die Köhle organisiert. Mittlerweile haben mehr als hundert dieser Wettbewerbe stattgefunden, auch in den anderen Bundesländern. „Dort ist es aber schwieriger, weil da kennt jeder jeden“, sagte Köhle - mehr dazu in Tagebuch-Lesen auf der Theaterbühne.

Großteil von Frauen geschrieben

Von den 330 Teilnehmern der vergangenen vier Jahre hat Köhle 72 Tagebücher ausgewählt. Ein Großteil der Teilnehmer sind dabei Frauen, nur etwa ein Drittel der Einträge haben Männer verfasst. „Das liegt wahrscheinlich daran, dass hauptsächlich Mädchen Tagebuch schreiben oder es zumindest zugeben“, sagte Köhle.

Doch nicht jeder Teilnehmer der Tagebuch-Slams wollte seinen Eintrag in einem Buch veröffentlichen. „Da gab es schon eine Hemmschwelle. Eine Frau hat mir zum Beispiel erzählt, dass sie das Gefühl hätte, ihr damaliges Ich zu verraten, wenn sie ihren damals geheimen Eintrag im Buch veröffentlichen würde“, erzählte Köhle. Viele der Beiträge wurden deshalb auch unter einem Pseudonym publiziert.

Tagebuchslam Veranstalterin Köhle

Anna Konrath

Die Beiträge wurden bereits in einem der Tagebuch-Slams vorgetragen

Viele Einträge über 11. September

Auch Köhles Einträge sind Teil des Buches, der Titel stammt etwa aus ihrem Tagebuch als 15-Jährige. „Ich veröffentliche nur die Teile, über denen ich schon stehe und über die ich heute lachen kann“, sagte sie. „Bei den jüngeren Leuten ist das anders, die sind es schon so gewohnt, ihr Leben auf den Sozialen Medien zu teilen, für die ist das kein Problem.“

Die Tagebücher sind für Köhle neben Unterhaltung auch ein Zeitdokument. Das zeigt etwa die damals 13-jährige Paola, die am 12. September 2001 über den Anschlag auf das World Trade Center vom 11. September schreibt und den Opfern eine „halbe Schweigeseite“ widmet, auf die sie Kreuze zeichnet. „Es gab sehr viele Beiträge zum 11. September, das war für alle ein sehr einschneidendes Erlebnis“, sagte Köhle.

Aber auch andere historische Momente werden in den Tagebüchern erwähnt, wie etwa in Lores, die 1950 schreibt: „Unser Bundespräsident Dr. Karl Renner feiert am Donnerstag seinen 80. Geburtstag“, oder Theresa, die 2003 die Vorteile des Internets entdeckt und anmerkt: „Internet ist total praktisch, aber das Blöde ist, dass die Zeit so schnell vergeht.“

Melanie Gerges, wien.ORF.at

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