Zahl der Schubhäftlinge steigt enorm

Die Zahl der Abschiebungen und der Schubhäftlinge steigt enorm, 2017 laut Innenministerium um 90 Prozent. Heuer wurden allein in Österreichs größtem Anhaltezentrum am Hernalser Gürtel 1.500 Abschiebungen durchgeführt.

Rund 140 Schubhäftlinge sind derzeit im sogenannten Polizeianhaltezentrum Hernalser Gürtel hinter Schloss und Riegel. 90 von ihnen dürfen sich zumindest am Gang frei bewegen, ihre Zellentüren sind untertags geöffnet. Bei einem Ö1-Lokalaugenschein mit Polizeibegleitung im offenen Vollzugsbereich grüßen sie freundlich. Aber als ein paar Marokkanern das Mikrophon auffällt, zeigt sich, wie angespannt und verzweifelt einige sind.

„Sieben Monate hier und zwei Kinder“

„Entschuldigung, Entschuldigung, ich bin zehn Monate hier, zu viel, zehn Monate, das ist zu viel“, klagt ein Mann. „Ich werd´ abgeschoben nach Deutschland, ich bin seit einem Monat hier“, ein anderer. „Ich bin sieben Monate hier und hab´zwei Kinder, sieben Monate und zwei Kinder“, kommt es von einem Dritten. Oder schlicht nur: „Bitte, bitte, helfen mir!“, wie ein Marokkaner sagt, der auf seine Arme zeigt. Unzählige feine Schnitte sind eingeritzt.

Anhaltezentrum Hernals Schubhaft

ORF/Bernt Koschuh

Viele Männer bleiben monatelang in Schubhaft

Dann deuten die Männer auf einen abgemagerten Algerier: „Der ist seit zwei Monaten im Hungerstreik, der isst nix mehr, der ist zehn Kilo jetzt runter - echt minus zehn Kilo.“ Die Zahl der Abschiebungen und der Schubhäftlinge in Österreich steigt massiv. Im Vorjahr wurde laut Innenministerium 5.000 mal Schubhaft verhängt, ein Anstieg um 90 Prozent (gegenüber 2016). Das merkt man auch am Hernalser Gürtel. 3.200 Abschiebungen sind im Vorjahr über dieses Gefängnis gelaufen, heuer waren es Mitte Mai schon 1.500.

Hungerstreiks und Selbstverletzungen

Hungerstreiks, Selbstverletzungen und Selbstmordversuche. Auch wenn beim Lokalaugenschein alles ruhig und freundlich wirkt, gibt es belastende Situationen für die Beamten, sagt der Polizist Gerald Ammer: „Meistens versuchen sie sich mit dem Besteck, das sie bekommen, zu schneiden und zu ritzen. Ob es ernsthaft gemeint ist, dass sie sich das Leben nehmen wollen - naja - sie wollen halt anzeigen, dass sie mit der Situation nicht zufrieden sind.“

Betroffene müssen zum Arzt bzw. zum Psychiater - der entscheidet über die weitere Vorgangsweise. „Wenn es ernst gemeint ist, kommen diese Personen in Sicherheitszellen, wo sie kein Besteck mehr zur Verfügung haben“, schildert Ammer.

Geändert hat sich der Umgang mit Hungerstreikenden, sagt der Leiter des Polizeianhaltezentrums Stefan Steiner im Ö1-Interview. „Früher hat man sie in Einzelhaft genommen. Von dem sind wir abgekommen: Viel besser ist, sie bleiben in der Gemeinschaftshaft und werden animiert, dadurch dass die anderen essen, dass sie Mahlzeiten zu sich nehmen und wir haben da sehr gute Erfahrungen gemacht.“

Anhaltezentrum Hernals Schubhaft

ORF/Bernt Koschuh

Am Hernalser Gürtel ist das größte Anhaltezentrum Österreichs

Schubhaft „schwer erklärbar“

Algerier, Marokkaner, Nigerianer und Afghanen sind derzeit die größten Gruppen in der Schubhaft. Aber auch Bosnier oder Ungarn mit Aufenthaltsverbot sind hier. Das Hauptproblem sei, dass man kaum den Sinn dieser Haft erklären kann, sagt Steiner. In der Strafhaft wird eine Strafe abgebüßt, die ist danach erledigt. Aber weniger als zehn Prozent der Schubhäftlinge haben eine Straftat begangen, sagt Steiner: „Eine Schubhaft hat einen reinen Sicherungscharakter. Jemand ist illegal im Land, reist nicht selbständig aus. Die Ultima Ratio ist die Schubhaft und dann ist es natürlich sehr schwer, demjenigen einen Sinn hier zu geben.“

Oft kommt der monatelange Freiheitsentzug zustande, weil das Heimatland die Rückreise nicht ermöglicht: „Da scheitert´s oft an faktischen Dingen - sprich, das Heimatland sagt noch nein, es gibt noch kein Heimreisezertifikat für den Herrn, oder eine Delegation hat gesagt, wir glauben nicht, dass das ein Marokkaner ist.“ Einige im Anhaltezentrum würden freiwillig gehen. „Ich Marokko gehe, kein Problem!“, beteuert ein Langzeit-Häftling.

Laut Polizei ist eine freiwillige Rückkehr jederzeit möglich. Aber auch das kann sich durch zwischenstaatliche, bürokratische Hürden verzögern. Und seit der letzten Gesetzesänderung darf eine Schubhaft bis zu 18 Monate lang dauern.

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