Doppelstaatsbürger: Zweifel an Aberkennungen

Dreimal sind in Wien Doppelstaatsbürgerschaften aberkannt worden. Das hätte für die Betroffenen enorme Konsequenzen - von Arbeit bis Mietvertrag. Verfassungsrechtler Bernd-Christian Funk bezweifelt aber, dass die Urteile halten.

Die ersten Urteile der Verwaltungsgerichte über vermeintliche austrotürkische Doppelstaatsbürger fielen hart aus, der Verlust der österreichischen Staatsbürgerschaft wurde bestätigt. Das jedoch ohne tatsächliche Beweise, nur auf Grundlage von Annahmen. Verfassungsrechtler Funk vermutet, „dass das letzte Wort noch nicht gesprochen“ sein dürfte, wenn Betroffene die Höchstgerichte anrufen. 18.000 Verfahren laufen derzeit in Wien - mehr dazu in Doppelstaatsbürger: Urteile in Wien.

Betroffene könnten Wohnung und Job verlieren

Der in diesem Fall rückwirkende Entfall der österreichischen Staatsbürgerschaft hätte rigorose, unverhältnismäßige Folgen, meinte Funk im Gespräch mit der APA. Von Abschiebung wären die meisten Austrotürken zwar nicht bedroht, weil sie schon lange hier leben. Aber ihre Existenz könnte bedroht sein, sie könnten Beruf, Vermögen oder die Wohnung verlieren, bekräftigte Funk seine Bedenken.

Aberkennung Staatsbürgerschaft

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Drei Aberkennungen wurden in zweiter Instanz bestätigt

Sie müssten dann um humanitären Aufenthalt ansuchen - und hätten in der (eher langen) Zeit bis zur Entscheidung darüber keine Beschäftigungsbewilligung. Verträge und Rechtsgeschäfte, für die die Staatsbürgerschaft Voraussetzung ist, wären nichtig: Liegenschaftskäufe müssten rückabgewickelt werden, Wohnbauförderung wäre zurückzuzahlen, auch für manche Sozialwohnungen ist die Staatsbürgerschaft Voraussetzung.

Das Arbeitsmarktservice (AMS) geht davon aus, dass Betroffene dennoch auf dem österreichischen Arbeitsmarkt tätig sein dürfen, wie AMS-Vorstand Johannes Kopf dem „Standard“ sagte. In aller Regel werde es „keine Probleme geben“, so Kopf. Grund dafür ist ein Assoziationsabkommen mit der Türkei, laut dem türkische Staatsbürger keine weitere Arbeitsbewilligung benötigen, wenn sie bereits länger als fünf Jahre in Österreich waren. Probleme könnten laut Kopf nur jene bekommen, die Österreich zwischenzeitlich verlassen haben und dann wieder zurückgekommen sind.

Austrotürken droht Aberkennung

18.000 türkischstämmigen Wienern droht rückwirkend der Entzug der österreichischen Staatsbürgerschaft.

Staat „müsste drohende Härten mildern“

Der Staat müsste sich überlegen, solch drohende Härten zu mildern, um einen Existenzverlust zu vermeiden - allenfalls auch durch entsprechende Gesetze, meinte Funk: „Man muss hier überlegen, wie weit das Grundrecht auf Unterlassung unmenschlicher Behandlung berührt ist.“ Wenn ein Rechtssystem dermaßen verheerende Wirkungen einer Gesetzesanwendung zulässt - „abgesehen von Fällen, wo eine illegale Doppelstaatsbürgerschaft bewusst erschlichen wurde“ -, setze es sich mit diesem Grundrecht wohl in Widerspruch.

Funk

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Verfassungsrechtler Funk bezweifelt, dass die Urteile halten werden

Noch ist allerdings nicht gesagt, dass die Tausenden Verfahren, die die zuständigen Länderbehörden jetzt abzuwickeln haben, tatsächlich diese drastischen Folgen haben werden. Denn Betroffene können sich noch an den Verwaltungsgerichtshof bzw. den Verfassungsgerichtshof wenden. Funk hält es für gut möglich, dass diese die Behördenbescheide bzw. die Entscheidungen der Landesverwaltungsgerichte (LVwG) nicht bestätigen - „wenn und soweit“ diese von Annahmen ausgingen.

Urteile basieren auch auf Annahmen

Das ist in den zwei veröffentlichten Wiener Entscheidungen in zwei wichtigen Punkten der Fall: Einerseits nahmen die Behörden an, dass auf einer angeblichen Wählerliste genannte Austrotürken auch die türkische Staatsbürgerschaft haben - und damit illegale Doppelstaatsbürger sind. Gegen die, die nicht umgehend belegen konnten, dass das nicht der Fall ist oder dass sie zu Recht (etwa kraft Geburt) Doppelstaatsbürger sind, wurden Tausende Verfahren eröffnet.

Die zweite Annahme für den Entfall der österreichischen Staatsbürgerschaft ist, dass die Mitwirkungspflicht der Betroffenen nicht erfüllt worden sei. Denn da die türkischen Behörden nicht kooperativ sind, können Österreichs Beamte nicht feststellen, ob bzw. seit wann tatsächlich eine Doppelstaatsbürgerschaft gegeben wäre. Also verlangen sie, dass die Betroffenen selbst in der Türkei Dokumente einholen, um nachzuweisen, dass sie keine türkischen Staatsbürger sind.

Können sie keinen Auszug aus dem Personenstandsregister vorlegen, nehmen die Behörden an, dass sie nicht willens sind, an der Aufklärung mitzuwirken. Bringt ein Betroffener nur vor, er habe vom Standesamt in der Türkei trotz Vorsprache keinen Auszug bekommen, reicht das nicht, stellte das Wiener LVwG fest. Dann bräuchte er zumindest eine schriftliche Bestätigung, dass er keinen Personenstandsregisterauszug erhält - denn andere Austrotürken hätten einen solchen nämlich vorgelegt.

Authentizität der Vergleichsliste fraglich

Das Wiener LVwG gesteht ein, dass die „Authentizität“ der angeblichen Wählerevidenzliste nicht festgestellt werden konnte. Diese Liste beruht auf einem Datenstick mit Zehntausenden Namen von Austrotürken, den die FPÖ nach dem türkischen Verfassungsreferendum im März 2017 dem Innenministerium übermittelt hat.

Aber das LVwG befand, man könne der „Annahme der belangten Behörde“ folgen, dass es sich um Aufzeichnungen einer türkischen Behörde handle. Denn die Personendatensammlung habe sich (im Abgleich mit Dokumenten) als inhaltlich richtig erwiesen - und sie habe ein solches Ausmaß (für Wien mehr als 66.000 Einträge), dass sie „behördliche, mit staatlichem Imperium ausgestattete, Strukturen voraussetzt“.

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