Volksoper arbeitet NS-Entlassungen auf

Zum 120. Jubiläum der Volksoper zeigt ein Buch die Geschichte jener Künstler, die während der NS-Zeit vertrieben wurden. 30 Menschen werden porträtiert, einige von ihnen haben den Zweiten Weltkrieg nicht überlebt.

„Aus Nachbarn werden Diebe, aus Freunden Feinde, aus Menschen Bestien“, beginnt Marie-Theres Arnbom das Buch „Ihre Dienste werden nicht mehr benötigt“. In diesem zeigt sie die Geschichten jener Künstler, die bis 1938 Mitarbeiter der Volksoper waren und nach dem „Anschluss“ Österreichs an Deutschland aufgrund ihrer jüdischen Herkunft oder politischen Einstellung verfolgt und vertrieben wurden.

Bis 1938 bestand die Volksoper aus privaten Vereinen, die von den Nationalsozialisten aufgelöst wurden. Die Volksoper wurde anschließend der Stadt Wien übertragen. „Leider fehlen alle Unterlagen, Verträge oder Korrespondenzen aus dieser Übergangszeit“, sagt Arnbom. Die Schicksale der Sängerinnen und Sänger, Librettisten, Regisseure, Orchestermusiker und Dirigenten wurden deshalb anhand von Briefen, Dokumenten und Gesprächen mit Hinterbliebenen rekonstruiert.

Ausschnitt Buchcover

Buchcover Amalthea Verlag/Imagno Austrian Archives

Einige der Künstler mussten nach 1938 fliehen

Sängerin nach Auschwitz deportiert

Wie etwa das Leben von Ada Hecht. Die Sopranistin aus Polen wurde 1925 an der Volksoper engagiert und spielte hauptsächlich Hauptrollen, etwa in „Lohengrin“ und „Der Zigeunerbaron“. 1938 versuchte sie alles, um ihren Sohn Manfred Hecht außer Landes zu bringen. Manfred erhielt schließlich ein Visum und konnte nach New York flüchten.

Ada selbst wurde im September 1942 in das Konzentrationslager Theresienstadt deportiert, ihr Ehemann Max im Oktober. Ein Jahr später wurden die beiden im letzten Transport in das Konzentrationslager Auschwitz gebracht, wo sie ermordet wurden.

Literaturhinweis

Marie-Theres Arnbom: „Ihre Dienste werden nicht mehr benötigt“. Aus der Volksoper vertrieben – Künstlerschicksale 1938. Amalthea Verlag, 208 Seiten.

Auch der Librettist Fritz Löhner-Beda wurde aufgrund seiner jüdischen Herkunft 1938 verhaftet und zuerst in das Konzentrationslager Buchenwald gebracht, wo er das „Buchenwald-Lied“ schrieb. In diesem heißt es „O Buchenwald, wir jammern nicht und klagen, und was auch unser Schicksal sei, wir wollen trotzdem Ja zum Leben sagen, denn einmal kommt der Tag: Dann sind wir frei.“ Löhner-Bäder wurde schließlich in das Konzentrationslager Auschwitz deportiert, wo er 1942 erschlagen wurde.

Lebensgeschichten „der Vergessenheit entreißen“

Fünf Jahre lang beschäftigte sich Arnbom mit der Thematik der vertriebenen Künstlerinnen und Künstler. „Mein Beitrag ist es, Schicksale der aus Österreich vertriebenen Menschen zu erzählen und der Vergessenheit zu entreißen, um ihnen ihre Geschichte zurückzugeben“, sagt sie. Die Schicksale aufzuarbeiten war auch dem derzeitigen Direktor der Volksoper Robert Meyer im Jubiläumsjahr ein besonderes Anliegen – mehr dazu in Volksoper feiert 120 Jahre.

Neben den Schicksalen der Menschen zeigt das Buch auch, welche Bedeutung die Flucht der vielen Künstler für die heimische Theaterszene hatte. „Was für ein enormes Potenzial ist Österreich verloren gegangen“, schreibt Arnbom in ihrem Buch.

Eugen Strehn im Film "Madame Blaubert"

ANNO/Österreichische Nationalbibliothek

Eugen Strehn (rechts) im Film „Madame Blaubert“ 1919

Wie etwa das Talent des Regisseurs Eugen Strehn. Sein Volksopern-Debüt feierte er im April 1928. Gemeinsam mit einem gesamten Ensemble aus geflüchteten Künstlern reiste er im Juni 1938 ins Exil nach Bogota. Dort arbeitete er weiter als Regisseur, brachte 1942 etwa „Die Fledermaus“ auf die Bühne des Teatro Colon. Strehn blieb auch nach dem Krieg in Kolumbien, wo er 1977 mit 94 Jahren gestorben ist.

„Hoffnung, dass sich jemand erinnert“

Auch viele andere Künstler schafften es, ins Ausland zu flüchten, wie etwa der damalige Volksopern-Direktor Karl Lustig-Prean. 1937 erkannte er die drohende Gefahr durch Adolf Hitler und flüchtete mit seiner Familie nach Südamerika. 1948 kehrte er allerdings nach Österreich zurück und schaffte es, wieder beruflich Fuß zu fassen, und war von 1949 bis 1959 Direktor des Wiener Konservatoriums.

Harry Neufeld

ANNO/Österreichische Nationalbibliothek

Harry Neufeld (rechts) als Tänzer für „Die letzte Jungfrau“

Von anderen Künstlern, wie etwa dem Choreographen Harry Neufeld, lässt sich die Zeit nach dem „Anschluss“ nicht vollständig rekonstruieren. Zwar ist überliefert, dass er über die Schweiz nach Brasilien fliehen konnte, ob er seine Karriere bis an sein Lebensende fortsetzen konnte, ist aber unklar. „Eine vielversprechende Karriere verliert sich einfach“, schreibt Arnbom. „Und doch bleibt die Hoffnung, dass sich jemand an diesen kreativen Künstler erinnert.“

Melanie Gerges, wien.ORF.at

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