Gutachten: 16-Jähriger nicht schuldfähig

Kurz vor dem Mordprozess gegen einen 16-Jährigen, der im Mai in Wien-Döbling eine Siebenjährige getötet haben soll, wird der Angeklagte in einem Gutachten als nicht schuldfähig bezeichnet. Eine Einweisung wird empfohlen.

Das zweite von der Justiz in Auftrag gegebene Gutachten stammt von Werner Gerstl, Facharzt für Kinderheilkunde, Kinder- und Jugendneuropsychiatrie und allgemein beeideter und gerichtlich zertifizierter Sachverständiger in Linz. Er kommt zum Ergebnis, dass im Tatzeitpunkt eine Schizophrenie und Zwangsstörungen als „handlungsbestimmende Kräfte“ wirksam waren, die beim Angeklagten eine Unzurechnungsfähigkeit bewirkt haben sollen.

Wie Gerstl ausführt, dürfte es beim Angeklagten mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in der fünften Klasse Mittelschule zum Abbau von Interessen, zur Störung der Konzentration und einem von einer Psychose verursachten Leistungsknick gekommen sein, die der Sachverständige auf eine Frühform einer Schizophrenie zurückführt. Diese habe sich bis zur gegenständlichen Straftat über Monate symptomatisch weiter entwickelt. Insofern habe - so Gerstl - „eine psychopathologische Kontinuität bestanden“.

Widerspruch zu erstem Gutachten

Das neue Gutachten widerspricht dem von der Staatsanwaltschaft bestellten Erstgutachter Peter Hofmann. Der führende Gerichtspsychiater war zum Schluss gekommen, dass der 16-Jährige im Tatzeitpunkt zwar eine schwerwiegende Persönlichkeitsstörung und eine Zwangsstörung aufwies. Seine Diskretions- und Dispositionsfähigkeit waren laut Hofmann allerdings nicht aufgehoben, sodass nach dessen Dafürhalten beim 16-Jährigen Zurechnungsfähigkeit und Schuldfähigkeit gegeben waren.

Hofmann empfahl für den Fall eines Schuldspruchs wegen Mordes die Unterbringung des Jugendlichen in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher, weil er diesen für derart gefährlich hält, dass ohne im Maßnahmenvollzug gewährleistete therapeutische Behandlung neuerlich mit Straftaten mit schweren Folgen gerechnet werden muss - mehr dazu in Hadishat-Täter für Psychiater „gefährlich“.

Beide Sachverständige bei Prozess

Christina Salzborn, Sprecherin des Wiener Landesgerichts, wollte auf APA-Anfrage am Montagabend das Vorliegen und den Inhalt des zweiten psychiatrischen Gutachtens im Fall der getöteten Siebenjährigen nicht offiziell bestätigen. Zum Prozess werden nun beide Sachverständige geladen. Sie werden dem Schwurgericht ihre Expertisen mit ihren unterschiedlichen Schlussfolgerungen darlegen.

Sollten die Geschworenen Gerstl folgen, könnte der Angeklagte mangels Schuldfähigkeit nicht verurteilt werden, sondern wäre ohne Ausspruch einer Strafe allenfalls mit einer - zeitlich unbefristeten - Einweisung in eine Anstalt für abnorme Rechtsbrecher vorzugehen. Möglich ist allerdings auch, dass vom Gericht noch ein dritter psychiatrischer Sachverständiger als eine Art Obergutachter bestellt wird. Das hätte zur Folge, dass die Verhandlung vertagt werden müsste.

Dagegen sprach sich der Rechtsvertreter der Angehörigen des umgekommenen Mädchens, der Wiener Anwalt Nikolaus Rast, am Montagabend aus. „Im Namen der betroffenen Familie hoffe ich, dass die Widersprüche aufgeklärt werden können und es am Mittwoch eine Entscheidung gibt. Damit die Familie abschließen kann“, sagte Rast im Gespräch mit der APA.

Strengste Sicherheitsvorkehrungen

Der Mordprozess gegen den 16-Jährigen findet am Mittwoch unter strengsten Sicherheitsvorkehrungen statt. Justiz und Verfassungsschutz sind um die Sicherheit des Angeklagten besorgt. Nach der Aufsehen erregenden Bluttat hatten Angehörige und Personen aus dem Umfeld der betroffenen tschetschenischen Familie Blutrache geschworen. Der Tatverdächtige wurde daher nach seiner Festnahme in ein Gefängnis bzw. in eine psychiatrische Einrichtung in einem anderen Bundesland verlegt - mehr dazu in Siebenjährige getötet: Tatverdächtiger in Linz.

Aktuell sollen sich ein Cousin und ein Onkel der Getöteten in der Justizanstalt Josefstadt in Haft befinden. Einer der beiden wurde erst vor kurzem wegen Raubes und anderer Delikte erstinstanzlich verurteilt. Das Wiener Landesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (LVT) geht davon aus, dass der junge Mann zu den gefährlichsten Mitgliedern der tschetschenischen Community in Wien zählt.

Der Vater der getöteten Siebenjährigen saß wiederum zuletzt in Südtirol wegen Schlepperei im Gefängnis. Im Juni kehrte er von einem genehmigten Freigang nicht in die Justizanstalt zurück. Seither ist er von der Bildfläche verschwunden. Angeblich soll er sich nach Tschetschenien abgesetzt haben, wo die Leiche seiner Tochter bestattet wurde. Es wird allerdings befürchtet, der Mann könne versuchen, zur Verhandlung gegen den 16-Jährigen zu erscheinen.

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