WGKK sieht „tödlichen Mix“ bei Fusion

In der Wiener Gebietskrankenkasse (WGKK) sieht man der Kassen-Zusammenlegung in Österreich sorgenvoll entgegen. Obfrau Ingrid Reischl warnte am Donnerstag vor einem „tödlichen Mix“.

„Wir stehen vor einer gewaltigen Fusion. Einer Fusion, die es meiner Meinung nach noch nirgendwo gegeben hat“, sagte Reischl vor Journalisten. Innerhalb von neun Monaten, beginnend mit 1. April 2019, müssen die neun Gebietskrankenkassen samt Teilen des Hauptverbands der Sozialversicherungsträger zur Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK) zusammengeführt werden. „Es wird ein - sagen wir es nett - Bürokratiemonster geschaffen“, so Reischl.

Es gehe um 7,2 Mio. Anspruchsberechtigte, 10.000 Mitarbeiter und Aufwendungen von 14 Mrd. Euro pro Jahr (zum Vergleich: der Jahresumsatz der voestalpine liegt bei 12,9 Mrd. Euro). Betroffen seien 82 Prozent der österreichischen Versicherten. Die Obfrau warnte vor einem „tödlichem Mix“, der aus der von der türkis-blauen Koalition verordneten Fusion bei gleichzeitigem Entzug von Geldmitteln entstehe.

Obfrau der Wiener Gebietskrankenkasse (WGKK), Ingrid Reischl

ORF

Reischl warnt vor „Bürokratiemonster“

Reischl warnt vor Finanzierungslücke für ÖGK

Das Perfide aus ihrer Sicht: Es ist kein Risikoausgleich zwischen den Kassen vorgesehen. Nicht nur die Arbeitnehmer und die Pensionisten aus der Privatwirtschaft gehören künftig zur ÖGK, sondern auch sämtliche Arbeitslose und Mindestsicherungsbezieher, so Reischl. Die anderen Versicherungen (Öffentlicher Dienst, Selbstständige) hätten dagegen ausschließlich Versicherte mit guter Risikenstruktur.

Dazu kommen verordnete Mittelkürzungen. Laut Sozialversicherungs-Organisationsgesetz (SV-OG) soll die ÖGK bis 2023 kumuliert 423,6 Mio. Euro weniger bekommen. Selbst wenn man die von der Regierung angenommenen Einsparungen dazurechne, bleibe ein Finanzierungslücke von 165,3 Mio. Euro. Weiters werde die ÖGK durch geschätzte Fusionskosten von rund 500 Mio. Euro belastet, und der kommende Ärzte-Gesamtvertrag werde eine „massive Mehrbelastung“ von mindestens 550 Mio. Euro bis 2023 bringen.

Auch die von der Regierung geplante Senkung der Sozialversicherungsbeiträge um 700 Mio. Euro für Niedrigverdiener sieht Reischl skeptisch, denn die Erfahrung habe gezeigt, dass die Kassen solche Eingriffe trotz Zusagen oft nicht refundiert bekommen hätten.

Reischl warnt vor Drei-Klassen-Medizin

Das Fazit der Obfrau: „Wir gehen in Richtung Basisversorgung“, es drohe eine Drei-Klassen-Medizin mit den ÖGK-Versicherten am unteren Ende. Bereits jetzt träumten Regierungsmitglieder von einer kleinen staatlichen Versorgung, bei der alles andere privat gezahlt werden müsse. „Es wird ein böses Aufwachen geben, wenn dieser Weg konsequent weitergegangen wird“, warnte Reischl.

Sie selbst will bis Jahresende in der WGKK bleiben und danach in der künftigen Landesstelle Wien der ÖGK tätig bleiben. „Ich gehe davon aus, dass ich nominiert werde“, sagte sie. „Wir werden versuchen, dass die Versicherten möglichst wenig von der Fusion spüren, weil die haben es sich ja auch nicht ausgesucht.“

Warnung aus Deutschland

Reischl erhielt am Donnerstag Unterstützung vom deutschen Kassen-Spitzenfunktionär Uwe Klemens. Was in Österreich geplant sei, „das ist keine Fusion, es ist ein dirigistischer staatlicher Eingriff in die Sozialversicherung“, sagte dieser: „Ich halte solche Eingriffe des Staates in eine bewährte Struktur für außerordentlich problematisch.“

Der Gewerkschafter Klemens ist Vorsitzender des Verwaltungsrats des Spitzenverbands der gesetzlichen Krankenkassen (GKV) in Deutschland; eine Funktion, die dem Chef des österreichischen Hauptverbands der Sozialversicherungsträger gleichzusetzen ist. Er hob das System der Selbstverwaltung hervor, das beide Staaten von allen anderen EU-Staaten unterscheide. „In Österreich und Deutschland sind die Menschen besser gegen die Folgen von Krankheit et cetera abgesichert“, betonte er.

Spekulationen um Chef der ÖGK

Wer österreichweit in der ÖGK künftig das Sagen haben könnte, wird bereits in Medienberichten spekuliert. Laut „Kleine Zeitung“ soll Matthias Krenn (FPÖ), Bürgermeister von Bad Kleinkirchheim und Vizepräsident der Wirtschaftskammer Österreich, ab April das Überleitungsgremium leiten.

Ab 2020 soll er sich dann für fünf Jahre die Funktion des Obmanns paritätisch mit dem Vertreter der Arbeitnehmer-Kurie im Halbjahresrhythmus teilen. Andreas Huss, Chef der Salzburger Gebietskrankenkasse, könnte - nominiert von der Bundesarbeitskammer - diese Funktion bekommen. Gegenüber den „Salzburger Nachrichten“ bestätigte er Gespräche dazu.

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