Verstörende Fotos im Westlicht

Verstörend und bestechend zugleich sind die Fotografien, mit denen Roger Ballen unter anderem die Nachfahren der Buren in Südafrika porträtierte. Das Westlicht zeigt Ende Februar Arbeiten aus vier Jahrzehnten in einer Retrospektive.

Schwarz und weiß, abstoßend und anziehend, Dokumentation und Fiktion: Müsste man das fotografische Werk von Roger Ballen auf wenige Worte herunter brechen, wären es diese drei Begriffspaare. 1950 in New York geboren, gehört er zu den eigenwilligsten Fotografen seiner Generation. „Ich fotografiere seit bald 50 Jahren in schwarz-weiß. Ich glaube, ich bin Teil der letzten Generation, die mit dieser Technik aufwächst“, sagte Ballen über sich.

In Zusammenarbeit mit der Sammlung Fotografie des Münchner Stadtmuseums zeigt das Westlicht nun zum ersten Mal in Österreich eine umfangreiche Retrospektive über den amerikanischen Fotografen. Rund 150 Fotografien aus neun verschiedenen Serien und vier Jahrzehnten veranschaulichen das fotografische Werk von Roger Ballen.

Als Jugendlicher von berühmten Fotografen umgeben

Das fotografische Talent wurde ihm vermutlich in die Wiege gelegt: Seine Mutter Adrienne arbeitete bei der Fotoagentur Magnum, als Jugendlicher war er daher von berühmten Fotografen wie Edward Steichen oder Edward Weston umgeben. Andre Kertesz, für den Fotografie künstlerisches Ausdrucksmittel war, beeinflusste Ballen am meisten.

Fotografie von Roger Ballen: Ein kleiner schwarzer Junge läuft auf einen Clown zu

Roger Ballen

„Clown“ (1969) aus der Serie „Civil Rights“

Nach dem Tod seiner Mutter 1973 reiste Ballen - stets begleitet von seiner Nikon-Kamera - mehrere Jahre durch die Welt, darunter auch nach Südafrika. 1977 kehrte er in die USA zurück. Er begann ein Geologie-Studium an der Colorado School of Mines, das er 1981 mit dem Doktor in Philosophie abschloss.

Im selben Jahr zog er schließlich mit seiner Frau nach Johannesburg und arbeitete dort als Geologe. Auf seinen Fahrten durch das Land entdeckte er die „Dorps“, dörfliche Gemeinden, in denen bis heute Nachfahren der Buren leben. Die Buren waren weiße, Afrikaans sprechende Einwohner Südafrikas, die in Europa ihre Wurzeln hatten. Es waren Tagelöhner, Dienstboten, Händler sowie Feld- und Mienenarbeiter, die Ballen in ihren verwahrlosten Behausungen aufsuchte und fotografierte.

Kinder in Ceylon

Roger Ballen

„Letting Go“ (1976): Spielende Kinder in Ceylon

Nachfahren der Buren in Südafrika dokumentiert

„Dorps“ (1986), „Platteland“ (1996) und „Outland“ (2001) heißen die Serien, in denen Ballen das ländliche Leben der Menschen dokumentierte. Trotz ihrer Zugehörigkeit zur „herrschenden Klasse“ fristeten diese Menschen in der kargen Landschaft des „Platteland“ (flaches Land) ein isoliertes, trostloses Dasein in bitterster Armut und fern der Zivilisation.

Es sind kleinstädtische Häuser, deren Innenleben Ballen belichtete: Weiße, mit erotischen Postern behangene Wände oder elektrische Kabel, die nackt an der Wand hängen. Elemente, die immer wieder auf seinen Fotografien auftauchen.

Auf der Suche nach dem Grotesken

Dabei suchte Ballen seine Motive nicht nach Schönheit, Perfektion und Ästhetik aus. Vielmehr war er fasziniert von dem Grotesken und Abgründigen. Von Menschen, die am Rand der Gesellschaft leben.

Ballen Fotografien entfalten hier einen gesellschaftskritischen Charakter, er zeigt das scheinbar von der menschlichen Norm Abweichende. Menschen, die sonst nicht die Möglichkeit haben, auf eine Fotografie zu kommen, hielt er in schwarz-weiß fest. Wie das Porträt der Zwillinge Dresie and Casie, sein bekanntestes Foto.

Ballen erntete heftige Kritik für diese Aufnahme. Man warf ihm vor, er beute die Menschen als Objekte aus. Ballen erwiderte, dass die Darstellung der verarmten Buren bei der herrschenden weißen Klasse für Irritationen sorgte und somit das Trauma der Burenkriege wieder wachrief.

Foto von den Zwillingen Dresie and Casie aus der Serie Platteland von Roger Ballen

Roger Ballen

Ballens viel kritisiertes Portrait der Zwillinge „Dresie and Casie“ (1993)

Requisiten wie Rohre und Tiere

Während die Porträtierten in „Platteland“, umgeben von Dingen des täglichen Lebens weitgehend frontal erscheinen, werden sie in „Outland“ (2001) zu Akteuren in absurden Rollenspielen. Requisiten wie Kabel, Rohre und Masken, aber auch Tiere werden gehalten und vorgezeigt: Etwa im bizarr anmutenden Foto eines Sicherheitsbeamten, der einen kleinen Hund wie eine Trophäe hochhält.

Ausstellungshinweis:

Roger Ballen Retrospektive, Galerie Westlicht, 22. Februar bis 28. April, Eintritt 6,50 Euro, Di, Mi und Fr 14.00 bis 19.00, Do 14.00 bis 21.00, Sa und So 11.00 bis 19.00 Uhr. Roger Ballen spricht am Eröffnungsabend ab 18.00 Uhr über seine Arbeit.

Sendungshinweis

„Wien heute“, 22. Februar 2013

In „Shadow Chamber“ (2005) existiert der Mensch oft nur noch in Fragmenten. Vom Künstler gefertigte Zeichnungen und Objekte erobern ihren Platz. Weniger der äußeren als der inneren Welt verpflichtet, führt die Serie in verborgenes Terrain und dunkle Zonen des Lebens.

Diese Suche nach dem Unterbewussten, das nicht selten albtraumhaft erscheint, setzte Ballen mit „Boarding House“ (2009) und seiner jüngsten Serie „Asylum“ (2012) fort, aus der einige Arbeiten im Westlicht erstmals ausgestellt werden.

"Place of the eyeballs" (2012) Fotografie von Roger Ballen

Roger Ballen

Schräge, collageartige Arrangements: „Place of the eyeballs“ (2012)

Surreale Kulissen mit gefundenen Objekten

In „Boarding House“ diente ein altes Fabriksgebäude, das von Wanderarbeitern, Kriminellen, Wunderheilern und Tieren bewohnt wird, als Kulisse für surreale Inszenierungen. Verstärkt näherte sich Ballen in seinen jüngeren Arbeiten auch der Malerei und Zeichnung an. Mit gefundenen Objekten gestaltete Wände erinnern an die Art Brut von Jean Dubuffet, an Paul Klee oder an Arbeiten von Cy Twombly und Mark Rothko.

Die Fotografien verwandeln sich zu Kompositionen, die sich nicht mehr eindeutig lesen lassen. Sie verwirren stattdessen den Verstand und aktivieren das emotionale Potential des Betrachters. Das Fotografieren gleicht einer Entdeckungsreise in die eigene Psyche: „Je älter ich werde, desto näher muss ich an die Quelle, wo die Träume geboren werden, den Entstehungsort der Psyche", so Ballen.

Fotografie von Roger Ballen: Eine Person ohne Kopf hält eine Taube

Roger Ballen

Unheimlich und mystisch: „Headless“ (2006) aus der Serie „Asylum“

Installation macht Ausstellung räumlich

Heute finden sich Ballens Fotografien in namhaften Häusern wie dem Stedelijk Museum in Amsterdam, dem Museum of Modern Art in New York, dem Louisiana Museum in Dänemark oder dem Centre Georges Pompidou in Paris.

Die Ausstellung in Wien wird visuell durch den Film „I Fink U Freeky“ ergänzt: Ein Musikvideo, das Ballen letztes Jahr mit der südafrikanischen Rap-Rave-Crew „Die Antwoord“ realisiert hat. Eine eigens für das Westlicht konzipierte Installation des Künstlers erweitert die zweidimensionalen Fotografien außerdem um eine physisch-räumliche Dimension.

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