Liebes Tagebuch- Brief an die Seele

Was ist das Gute am Tagebuchschreiben, warum schreiben vor allem als Teenager so gerne Tagebücher und warum ist es den Erwachsenen oft peinlich, wenn sie ihre eigenen Tagebücher später lesen-Kommunikationsexpertin Nana Walzer hat Erklärungen.

Die Umbruchzeit zwischen Kindheit und Erwachsenenalter ist von Unsicherheiten auf vielen Ebenen begleitet. Der Hormonhaushalt sorgt für ein intensives Wechselbad der Gefühle, dem sich die jungen Menschen nicht nur hilflos ausgesetzt fühlen, sie identifizieren sich auch noch zu 100% mit diesen Gefühlen.

Wenn sie wütend sind, dann glauben sie, jedes Recht darauf zu haben und verhalten sich etwa ihren Eltern gegenüber höchst unfair. Rationale Argumente haben gegen diese starken Gefühle kaum eine Chance. Auch der Körper macht drastische Veränderungen durch und das Sexualleben erwacht und wirft unendlich viele Fragen auf, die Teenager nicht mit ihren Eltern klären möchten. Peinlichkeit und Scham sind häufige Erscheinungen in diesem Alter.

Die Erfahrung im Umgang mit sich selbst, der Welt und anderen fehlt schlicht noch. Und dennoch wollen gerade Pubertierende selbstsicher, souverän und cool erscheinen. Sie müssen also in einen Dialog treten, um erstens sich selbst ihrer Gefühle und Themen bewusst zu werden und um zweitens die offenen Fragen zu erkennen und zu beantworten. Das Tagebuch hilft vor allem dabei, eine stabile Beziehung zu sich selbst aufzubauen, die eigene Wahrnehmung zu schärfen, eigene Wünsche aber auch Herausforderungen und Gefühle besser zu erkennen. Natürlich sind diese tiefsten inneren Selbstgespräche etwas sehr Intimes und sollten geheim bleiben dürfen.

offenes Tagebuch mit Kugelschreiber

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Teenagertagebuch peinlich im Erwachsenenalter

Genau weil sich in den Tagebüchern die ganze eigene Unsicherheit spürbar und nachlesbar schwarz auf weiß zeigt. Aber auch die eigene Überheblichkeit wird sichtbar, nämlich anzunehmen, man wüsste über sich, die Welt und andere Menschen oder Beziehungen Bescheid. Die Selbstüberschätzung und das Drama, das wir aus unserem Leben damals gemacht haben, das unkontrollierbare Wechselbad der Gefühle, die unbedachte Projektion höchster Gefühle auf Menschen, die diese wahrscheinlich nicht verdienen (Popstars oder coole Typen), all dies wird offenbar.

Interessanterweise schreiben mehr Mädchen Tagebücher als Buben. Junge Männer gehen mit ihren Unsicherheiten oft anders um. Sie tragen sie zwar auch nicht immer nach außen, reden kaum über ihre Gefühle, sondern werden eher körperlich aggressiv – im besten Fall im Sport, wenn ein innerer Konflikt unerträglich wird. Die Selbstreflexion der eigenen Gefühlswelt scheint nicht oberste Priorität zu haben. Das Thema Beziehungen wird von männlichen Jugendlichen eher als eine Folge von Erfolg, also vom sichtbaren und von anderen anerkannten „sich als Mann beweisen“ gesehen wird.

Das Gute am Tagebuchschreiben

Auch Erwachsene können von der geistigen Klarheit, die durch das Tagebuchschreiben entsteht, stark profitieren. Dazu können wir das Tagebuchschreiben anders anlegen: Wenn wir beispielsweise Durchschlafprobleme haben, so können wir wann immer wir aufwachen einfach alles, was uns durch den Kopf geht, ohne Zensur in ein Buch schreiben. Solange, bis alles dort steht. Dann haben wir es aus unserem System draußen und können wieder einschlafen. Das tun wir jede Nacht. Nach einiger Zeit werden es immer weniger Seiten. Es ist auch nicht nötig, die Seiten durchzulesen, es geht nur darum, die belastenden Inhalte aus dem Kopf aufs Papier zu verlagern.

Wir können aber auch eine Art „Erfolgstagebuch“ schreiben und am Ende jeden Tages die schönen Situationen, Gefühle, Begegnungen und Erlebnisse notieren. So gewöhnen wir uns langsam an, statt der negativen Seiten des Lebens die positiven wahrzunehmen und zu schätzen. Sinnvoll ist auch ein halbjährlicher „Freudenplan“, eine Sammlung von Zielen, die uns Freude bereiten, also Situationen, die uns mit Lachen und Liebe, mit Hoffnung und Verbundenheit, mit Wohlgefühl und Leichtigkeit erfüllen. Nach einiger Zeit haben wir dann einen riesigen Pool von Möglichkeiten geschaffen, unser Leben erfüllender zu gestalten.

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Nana Walzer
Nana Walzer: „Die Kunst der Begegnung“