Radio Wien

Tagebuch aus der Sperrzone Tag 6

Tag 6: Alex Jokel, Moderator

Wir haben uns in der ORF Isolation mittlerweile gut eingelebt, so gut, dass einige von uns schon nach wenigen Tagen ihren persönlichen Verfall einleiten. Es war auch vorhersehbar, dass sich auf so engem Raum der Schein nicht sehr lang aufrechterhalten lässt.
Auch Olivia P. hat resigniert. Das Haar hochgesteckt, die Hammerzehen in Flip Flops präsentierend schleppt sie sich, jegliche Körperspannung vermissend, den Gang entlang in Richtung Duschcontainer. Peter Polevkovits hat sich mittlerweile schon so an sein Tröpferlbad-Outfit gewöhnt,dass er seinen Bademantel sogar im Studio nicht mehr missen möchte.
Zur Zerstreuung dient der Abend. Hier wird Darts gespielt und besonders Verwegene treten im Tischfußball gegen die Hooligan Kampfmannschaft aus der Wien Heute Redaktion an.

Olivia P., als Tirolerin Unterstützerin der regionalen landwirtschaftlichen Kleinbetriebe, besteht darauf „Kaufmannsladen“ zu spielen. Sie stellt sich vor den Getränke-Kühlschrank, baut die dankenswerterweise von einigen Firmen gesponserten Knabbereien und Süßigkeiten vor sich auf,und ruft „Billiger, billiger, alles muss raus!“ Erwartungsvoll blickt sie zu uns herüber, sodaß sich einige Kollegen erbarmen und Bier bei ihr bestellen. Ich rufe „2. Kassa bitte!“ und nütze die Verwirrung, um durch die Hintertüre zu flüchten.
Übrigens, auf die Masken- und Registrierkassenpflicht scheint sie vergessen zu haben. Anzeige folgt!

Tag 6: Olivia Peter, Moderatorin

Sendungshinweis

„Guten Morgen Wien“,
28. März 2020

Liebes Tagebuch!

Es ist passiert. Was wirklich Schlimmes. Kennst du das, wenn du spürst, dass du etwas Bestimmtes nicht tun solltest. Deine innere Stimme ruft: „Das geht nicht gut aus!“ Aber du hast trotzdem den unbändigen Drang, es zu machen? So geschehen. Heute. Ich war essen. Nicht mit Kollege Jokel. Nicht mit Kollege Polevkovits. Ganz alleine. Die beiden haben sich irgendwie verändert. Nicht optisch. Mir gegenüber. Auf meine Frage, ob wir das lukullische Mahl gemeinsam einnehmen wollen, hat mir Kollege Jokel eine grummelige Ein-Wort-Antwort gegeben: „Bauchansatz“ und Kollege Polevkovits hat sich überhaupt in den (Bade)mantel des Schweigens gehüllt.

Also einsamer Verzehr des Kalbsbutterschnitzels in der Kantine. Mit Erdäpfelpüree. Das heißt Kartoffelpüree. Sagt die Tirolerin in mir. Wurscht. Das, was da am Teller lag, hatte weder Ähnlichkeit mit dem einen noch dem anderen. Bis zur Hälfte habe ich mich durchgekämpft. Dann kam ein ähnliches Gefühl auf wie damals bei Matheschularbeiten. Das „Ich-geb-auf“-Gefühl. Weil inzwischen erwachsen, weiß ich, dass man das „Ich-geb-auf“-Gefühl ersetzen kann. Durch das „Ich-mach’s-später“-Gefühl. Das Endresultat? Ident. Aber es birgt mehr Hoffnung.

Also Abmarsch mit Schnitzel in der Plastikbox. Im Zimmer habe ich meine Möglichkeiten ausgelotet. Verwahrung im Innenbereich? Geruchsbildung. Verwahrung im Außenbereich? Die Fensterbank erschien breit genug. Die Windstärke dezent genug. Beides war nicht der Fall. Das Kalbsbutterschnitzel ist abgestürzt. Liegt jetzt 10 (in Worten: 10) Meter unterhalb meines Fensters. Auf einem Vordach. Einem unerreichbaren Vordach.

Tja. Die Moral von der Geschicht’? Vögel fliegen. Kälber nicht.