Politikwissenschaftlerin Birgit Sauer vor einer Tafel mit der Aufschrift „Gleichheit!“
Paulina Parvanov
Paulina Parvanov
Radio Wien

Weltfrauentag: Lehren aus der Krise

Die Gleichstellungs-Bilanz zum Weltfrauentag fällt heuer deutlich kritischer aus als in den letzten Jahren: dass die Corona-Krise für Frauen im Schnitt mehr Belastungen und negative Folgen gebracht hat als für Männer, zeigt klar auf, dass es noch vieler Maßnahmen bedarf.

Sendungshinweis:
Gut gelaunt durch den Tag
Montag, 8. März
ab 9.00 Uhr

Schon im ersten Lockdown im Frühling 2020 führte die Ökonomin Katharina Mader eine Studie zur Frage durch, wie sich der Lockdown auf die Belastung von Frauen auswirkt. Das Ergebnis: „Über 70 Prozent der Frauen haben angegeben, dass die Kinderbetreuung im Lockdown überwiegend bei ihnen lag, rund 60 Prozent haben das zum Haushalt gesagt.“ Das Überraschende: „Wir haben auch gefragt, wie das vor der Krise war, und es hat sich gezeigt, dass die Verteilung schon da ähnlich war.“

Statt von einem Rückschritt in Richtung 50er-Rollenaufteilung zu sprechen, fragt sie daher: „Sind wir überhaupt jemals aus den 50ern rausgekommen?“ Politikwissenschaftlerin Birgit Sauer geht in der Ursachenforschung noch weiter in die Geschichte zurück: „Die strukturellen Gründe kann man eigentlich als Systemfehler des Kapitalismus bezeichnen.“ Die Trennung der beiden Sphären Erwerbsarbeit und unbezahlte Arbeit und die geschlechterstereotype Zuordnung wirke bis heute nach. „Die Maximalforderung ist daher ein Systemwechsel in Richtung der Anerkennung der notwendigen Haus- und Sorgearbeit“.

„Halbe-halbe“ noch immer legitime Forderung

Und sie verweist auf die einst vielfach kritisierte Forderung von Frauenministerin Helga Konrad Mitte der 1990er-Jahre, die Teilung der Versorgungsarbeit durch gesetzliche Maßnahmen im Familien- und Eherecht festzulegen. „Ich denke, das geht in die richtige Richtung, nur ein gesetzlicher Anreiz ermöglicht die gerechtere Aufteilung.“ Vor allem, um auch die Arbeitgeber ins Boot zu holen, wenn es z.B. um Teilzeitregelung für beide Elternteile geht: „Das ist so wie beim Mutterschutz, den musste man den Arbeitgebern auch abringen.“

Die gerechte Aufteilung von Karenzzeiten und Arbeitszeit sieht auch die Geschäftsführerin des Frauenberufszentrums abz*Austria, Manuela Vollmann, als probates Mittel, um Frauen nicht länger zum Risiko aus Sicht des Arbeitgebers zu machen und ihnen eine ebenbürtige Teilnahme am Arbeitsmarkt zu ermöglichen – auch aus wirtschaftlicher Notwendigkeit: „Die Wirtschaft braucht Fachkräfte, und wir können es uns nicht leisten, dass gut ausgebildete Frauen wegen Betreuungspflichten reihenweise aus dem Erwerbsleben ausscheiden.“

Reformen auch im Bildungssystem gefordert

Ein weiterer wichtiger Punkt ist für Vollmann außerdem das Bildungssystem. „Wir müssen schauen, dass Kinder und Jugendliche auf Grund ihrer individuellen Kompetenzen und Talente wahrgenommen werden, und nicht auf Grund ihres Geschlechts.“ Und sie kritisiert, dass Schule sich in hohem Maß auf die Unterstützung durch die Eltern – insbesonders der Mütter, wie sich auch beim Distance Learning gezeigt hat – verlässt: „Das ist wie ein heimlicher Lehrplan. Ich finde, Schule muss sich generell in Österreich neu erfinden.“

Diese und andere Ideen und Forderungen, um Chancen und Lasten auf Frauen und Männer besser zu verteilen, werden seit vielen Jahren diskutiert. Ob die Corona-Krise die Umsetzung eher befördern oder noch weiter hinauszögern könnte, ist offen. Katharina Mader sieht in der gegenwärtigen Situation zumindest die Gelegenheit für einen stärkeren solidarischen Schulterschluss unter Frauen: „Zum allerersten Mal sind Frauen mit Betreuungspflichten im gleichen Boot gesessen, weil die meisten Möglichkeiten, Arbeiten an andere Frauen auszulagern, durch die Corona-Maßnahmen weggefallen sind.“

Politikwissenschaftlerin Birgit Sauer
Theresa Dirtl
Birgit Sauer, Uni Wien