Ein britischer Bomber vom Typ Lancaster
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Kultur

WK II: Lynchjustiz gegen Flugzeugcrews

Mit einem bisher in der Öffentlichkeit kaum beachteten Aspekt des Zweiten Weltkriegs haben sich österreichische Forscher beschäftigt. Sie sind dem Schicksal von über Österreich abgeschossenen Flugzeugcrews nachgegangen – mit überraschenden Ergebnissen.

Der deutsche Angriff auf Polen am 1. September 1939, also vor 80 Jahren, war der Beginn des Zweiten Weltkriegs mit geschätzt bis zu 80 Millionen Toten. Nicole-Melanie Goll und Georg Hofmann vom Haus der Geschichte Österreich (hdgö) widmeten sich in ihrem gemeinsamen Projekt dem Schicksal alliierter Flugzeugbesatzungen, die über Österreich abgestürzt sind. Die Wissenschaftler waren überrascht, welches brutale Schicksal die Besatzungen oft erlitten.

Keine Hilfe, Misshandlungen, Lynchmorde

Von der Bevölkerung und Angehörigen des NS-Regimes wurden die Besatzungsmitglieder zum Teil brutal behandelt. Mehr als 1.000 Flugzeuge sollen bei den Bombenangriffen der Alliierten im Zweiten Weltkrieg über Österreich abgestürzt sein. Rund 8.300 Menschen waren in diesen Flugzeugen an Bord. Gemeinsam mit Kollegen dokumentierten Goll und Hofmann zwei Jahre lang alle auf dem Gebiet des heutigen Österreich abgestürzten amerikanischen und britischen Flugzeuge. Die überlebenden Besatzungsmitglieder waren mit unterlassener Hilfeleistung, Beschimpfungen oder Misshandlung konfrontiert. Manche wurden sogar gelyncht.

Eines der bekanntesten Beispiele ist das Schicksal des afroamerikanischen Piloten Walter P. Manning, der am 1. April 1945 bei Linz abgeschossen wurde und in der Nacht auf den 4. April von Unbekannten aus seiner Gefängniszelle geholt, schwer misshandelt und an einem Laternenpfahl erhängt worden war. Der Lynchmord wurde im Nachkriegsösterreich kaum weiterverfolgt. Erst im Vorjahr wurde am Fliegerhorst Linz-Hörsching eine Gedenktafel für den Piloten enthüllt.

Vor dem Ort Gmunden am Traunsee wird am Montag, 13.Juni 2005  ein aus dem Zweiten Weltkrieg stammendes US-Kampfflugzeug gehoben. Bei dem Flugzeug handelt es sich um eine P-47 Thunderbolt der US Air Force.
APA/RUBRA/Klemens Fellner
P-47 „Thunderbolt“ der US Air Force bei ihrer Bergung aus dem Traunsee im Juni 2005

Wissenschaftler vom Gewaltausmaß überrascht

Das Schicksal Mannings war kein Einzelfall. "Wir waren selbst vom Ausmaß der Lynchtötungen überrascht, vor allem aber, dass sie mit Mai 1944 im gesamten Deutschen Reich gleichzeitig einsetzten“, sagte Goll in einer Aussendung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW), die das Projekt gefördert hat.

Die Gründe dafür sehen die Historiker u.a. in der NS-Propaganda, die den Luftkrieg als „Verbrechen“ titulierte und gegnerische Flugzeugbesatzungen als „Kindermörder“ und „Luftgangster“ bezeichnete. Dabei agierte das Deutsche Reich zunächst nicht minder aggressiv gegen die Zivilbevölkerung, etwa in Warschau oder Coventry. Im Mai 1944 rief das NS-Regime in einem Beschluss zum „Lynchen“ nach Abstürzen feindlicher Flugzeuge auf. „Die Folge sind die bis heute tabuisierten Fliegermorde, denen in Österreich und Ungarn 101 Flieger und im gesamten Deutschen Reich wohl Tausende zum Opfer fielen“, so Goll.

Hunderte Schicksale auf digitaler Landkarte

Im Gegensatz zum Luftkrieg der Alliierten sei das Thema noch viel zu wenig im Bewusstsein verankert, meinen die Historiker. Sie haben daher – umgesetzt vom Austrian Centre for Digital Humanities der ÖAW – ihre Forschungsergebnisse auf eine digitale Landkarte übertragen. Auf der „Downed Allied Air Crew Database Austria“ kann man die unterschiedlichen Kriegserfahrungen, Absturzorte und Schicksale der Soldaten nach dem Absturz nachvollziehen. Die Website ist öffentlich zugänglich. Das Projekt läuft noch bis Ende 2019, die Forscher wollen es aber fortsetzen. Denn von mindestens 200 Piloten fehlt bis heute jede Spur.