Rathaus, Herbst, Rathauspark, Wien
ORF.at/Carina Kainz
ORF.at/Carina Kainz
Chronik

Häupl und Seitz: Zwei Jubiläen, zwei Ikonen

Am 4. September jährte sich der Geburtstag von Karl Seitz zum 150. Mal. Ex-Bürgermeister Michael Häupl feiert heute seinen 70. Geburtstag. Zwei Jubilare, zwei rote Urgesteine, die vieles teilten und unterschiedlicher nicht sein könnten.

Ein Bau, darin 1.130 Wohnungen, umrundet von einem gigantischen Mauerwerk erinnert noch heute an ihn: Karl Seitz. Als Seitz im Jahr 1869 zur Welt kommt, ist Österreich noch Kaiserreich, im Mai desselben Jahres berichten Zeitungen über die fulminante Eröffnung der Wiener Staatsoper. Nach einer Kindheit im Waisenhaus wird Seitz Volksschullehrer – und zeigt früh, wie er es mit seinen politischen Ansichten hält. Eine scharfe Rhetorik gepaart mit einer gewissen Lust zur Aufmüpfigkeit bringt Seitz immer wieder in die Bredouille – eine Konstante im Leben des späteren Bürgermeisters.

Vom Labor in die Politik

Michael Häupl, am 14. September 1949 im niederösterreichischen Altlengbach geboren, hat vor seiner politischen Laufbahn ganz andere Dinge im Sinn: „Funktionsanatomische Untersuchungen am Schädelskelett und der Kopfmuskulatur verschiedener Arten der Fam. Gekkonidae“, lautete der Titel von Michael Häupls Dissertationsschrift.

Schon während seiner Studienzeit engagiert er sich in der Sozialistischen Jugend. Der damalige Bürgermeister Helmut Zilk macht Häupl klar, dass er in der SPÖ mehr gebraucht werde als im Labor: "Ich brauch dich in der Politik, deine depperten Frösche kannst du auch später zählen“, soll Zilk gesagt haben. Häupl zieht 1983 über die SPÖ Ottakring in den Landtag ein und wird 1994 als 45-Jähriger Bürgermeister von Wien.

Karl Seitz, schwarz-weiß Aufnahme, Parlament
ORF Archiv
Am 3. März 1920 wurde Karl Seitz (Mitte) zum ersten Staatsoberhaupt Österreichs gewählt

64.000 Wohnungen in zehn Jahren

Seitz’ politische Karriere findet in einer Zeit statt, die turbulenter nicht sein könnte. Als Politiker durchlebt und gestaltet er die Höhen und Tiefen österreichischer Geschichte. Während der Sozialdemokrat politisch aktiv ist, brechen zwei Weltkriege über Europa herein und Wien befindet sich für mehrere Tage im Bürgerkrieg. Seitz wird zwei Mal verhaftet, überlebt 1927 ein Attentat und wird gegen Ende des NS-Regimes im Konzentrationslager Ravensbrück interniert. Nach Ende des Weltkriegs kommt er frei.

Bereits 1902 zieht der Lehrer in seinem Wahlkreis Floridsdorf, das damals noch zu Niederösterreich gehörte, in den Landtag ein. Als 1. Präsident der Konstituierenden Nationalversammlung wurde er am 3. März 1920 zum ersten Staatsoberhaupt der noch jungen Republik Österreich gewählt. Zuvor war er es, der als einziger in der Riege der führenden Sozialdemokraten offen gegen den Krieg agitierte.

Mit dem Gesetz zur „Verfassung der Bundeshauptstadt“ von 1920 wird Wien ab 1922 ein eigenes Bundesland. Als Seitz 1923 auf Jakob Reumann folgt und Wiener Bürgermeister wird, wird er zu einem der maßgeblichen Architekten des „Roten Wiens“. Das zeigte sich vor allem in der Wohnpolitik. Um das Jahr 1900 lebten in Wien rund zwei Millionen Menschen, 300.000 davon haben keine Wohnung. In den 1920ern stampfte die Stadt in knapp zehn Jahren 380 Gemeindebauten aus dem Boden, insgesamt 64.000 Wohnungen.

23 Jahre und sechs Monate Bürgermeister

Weniger monumental als die Kommunalwohnungen der Ära Seitz, aber dennoch europaweit für Aufsehen sorgt zu Häupls Amtszeit der Bau der Seestadt Aspern. Die „Ringstraße des Proletariats“ von einst heißt nunmehr „Smart City“: Auf 240 Hektar Stadtentwicklungsgebiet sollen sich am Wiener Stadtrand bis 2028 rund 20.000 Bewohnerinnen und Bewohner ansiedeln. Dabei geht es neben günstigen Mieten auch um „smarte“ Formen des Zusammenlebens, also eine möglichst hohe Alltagstauglichkeit.

Michael Häupl
APA/Herbert Neubauer
Abschied nach 24 Jahren an der Spitze Wiens: Michael Häupl bei seinem letzten SPÖ-Parteitag als Bürgermeister im April 2018.

Als Häupl im Jahr 1994 von seinem Vorgänger Helmut Zilk (SPÖ) übernimmt, liegen zwischen ihm und Seitz sieben Generationen (demokratisch gewählte) Bürgermeister. Als Seitz politisch aktiv wird, werden gerade noch die letzten Rohre für das Abwassersystem der Stadt verlegt – zu Häupls Anfangszeit in der SPÖ fahren U-Bahnen unter der Stadt hindurch.

Nach 23 Jahren, sechs Monaten und 16 Tagen an der Spitze Wiens übergibt Häupl an Michael Ludwig. Menschen aus 180 Nationen wohnen in der österreichischen Landeshauptstadt, es gibt 1.721 Kinderspielplätze in der Stadt und die Lebenserwartung von Frauen liegt bei knapp 83 Jahren. Sind im Jahr 1923 noch 81 Prozent der Wienerinnen und Wiener römisch-katholisch, sind es gegen Ende von Häupls Amtszeit nicht einmal mehr ein Drittel.

56 Prozent Frauen in der Stadtverwaltung

Im November 1918 wurde Frauen in Österreich erstmals das Recht eingeräumt, an Wahlen teilzunehmen. Am Beginn der Ära Seitz sind Frauen im politischen Betrieb dennoch eine Rarität, auch in der SPÖ. Unter den 30.222 Beamtinnen und Beamten, die mit Häupl die Geschicke der Stadt leiten, sind 56 Prozent weiblich. Im Wiener Landtag sind bis heute dennoch nur 37 Prozent Frauen vertreten.

Michael Häupl bei der Vorstellung eines Buches über Karl Seitz
Pressefoto Votava
Michael Häupl bei der Präsentation eines Buches über Karl Seitz im Jahr 2005

So wie Seitz seiner Zeit vor allem durch Wohnbau-, Sozial- und Bildungspolitik von sich Reden macht, ist es unter Häupl der öffentliche Verkehr, der massiv erweitert wird. In den gut 23 Jahren seiner Regentschaft wächst Wiens öffentliches Verkehrsnetz um 300 auf insgesamt 935 Kilometer. Mit derzeit fünf U-Bahnlinien, 28 Straßenbahnen und 66 Buslinien hat Wien eines der dichtesten Öffi-Netze in ganz Europa. Im selben Zeitraum wächst auch die Bevölkerung um 300.000 auf insgesamt 1,8 Millionen Bewohnerinnen und Bewohner.