Stenzel bei Fackelmarsch
Michael Gruber
Michael Gruber
Politik

Rechtsextremen-Aufmarsch: Stenzel schließt Rücktritt aus

Nach dem Auftritt der nicht amtsführende Wiener FPÖ-Stadträtin Ursula Stenzel Samstagabend bei einem Aufmarsch der rechtsextremen Identitären in der Innenstadt hat es Rücktrittsaufforderungen gehagelt. Stenzel schloss einen Rücktritt am Sonntag aber aus.

„Das ist lächerlich“, kommentierte sie im Ö1-„Sonntagsjournal“ entsprechende Aufforderungen der anderen Parteien. „Ich glaube, es war kein Fehler, teilzunehmen, weil mir nicht bewusst war, wer die Organisatoren waren“, so Stenzel gegenüber „Wien heute“ am Sonntag. Die Aufregung über ihre Teilnahme an dem Marsch hält sie für eine „künstliche“.

Stenzel im Interview

Nach dem umstrittenen Auftritt gab Stenzel in „Wien heute“ ein Interview. Sie glaube nicht, ihrer Partei mit ihrem Auftritt zu schaden.

Zuvor hatte die gesamte österreichische Innenpolitik – mit Ausnahme der FPÖ – scharfe Kritik an Stenzel geübt, Rücktrittsrufe kamen auch von Wiener Parteispitzen. Eine Möglichkeit, Stenzel abzusetzen, sah Bürgermeister Michael Ludwig bei einer kurzfristig einberufenen Pressekonferenz mit Parteichefin Pamela Rendi-Wagner allerdings nicht.

Pamela Rendi-Wagner und Michael Ludwig bei einer gemeinsamen Pressekonferenz
APA/Hans Punz
Michael Ludwig forderte – gemeinsam mit Pamela Rendi-Wagner – die FPÖ auf, Stenzel abzuberufen

Ludwig: „Wer bestimmt die Strategie der FPÖ?“

Ludwig forderte die FPÖ auf, Stenzel als nicht amtsführende Stadträtin abzuberufen. Wenn die FPÖ nun behaupte, Stenzel sei nur ein einfaches Parteimitglied, dann solle sie Stenzel auch zu einem einfachen Parteimitglied machen. „Wer bestimmt die Strategie der FPÖ? Sind es die Identitären oder wird es Norbert Hofer sein?“, so Ludwig.

Stenzel und Identitäre: Die Reaktionen

Die FPÖ verteidigt Stenzel, von allen anderen Seiten gibt es Rücktrittsaufforderungen.

Er selbst habe keine Möglichkeit, die FPÖ-Politikerin abzuberufen, betonte Ludwig und verwies darauf, dass auch Misstrauensanträge des Landtages gegen nicht amtsführende Wiener Stadträte nicht möglich sind. Paragraf 37 der Stadtverfassung sieht Misstrauensanträge nur gegen amtsführende Stadträte vor, nicht aber gegen solche der Opposition.

Eine Änderung dieser Bestimmung forderte Ludwig am Sonntag nicht, denn man solle nicht Einzelfälle zum Anlass für Änderungen nehmen. Und die Abschaffung der amtsführenden Stadträte wäre nur durch eine Änderung der Bundesverfassung möglich, betonte Ludwig: „Derzeit sehe ich keine Möglichkeit, die Funktion der nicht amtsführenden Stadträte zu ändern.“ Über Stenzels Abberufung werde er mit der FPÖ aber reden.

Hebein: Stenzel „untragbar“

Für die Parteivorsitzende der Grünen Wien, Birgit Hebein, ist Stenzel nach den gestrigen Vorkommnissen als Stadträtin untragbar für Wien. „Wer sich mit der Ideologie des Massenmörders Breivik und des Christchurch-Attentäters gemein macht, ist als Stadträtin völlig untragbar. Beide haben sich auf auf die Schlacht am Kahlenberg 1683 bezogen“, so Hebein. Das Bekenntnis von FPÖ-Chef Hofer, nichts mit den Identitären zu tun zu haben, bezeichnete Hebein als „Lippenbekenntnis“.

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Stenzel bei Fackelmarsch
Michael Gruber
Stenzels Teilnahme an dem Aufmarsch der Identitären bringt ihr viel Kritik und Rücktrittsaufforderungen
Fackelmarsch Identitäre mit Ursula Stenzel
Michael Gruber
„Dass auch Vertreter der Identitären Bewegung anwesend gewesen sein sollen, war mir nicht bewusst“, so Stenzel
Fackelmarsch Identitäre
Michael Gruber
An die Teilnehmerinnen und Teilnehmer wurden Fackeln verteilt
Stenzel mit Fackel bei Identitären-Aufmarsch
Michael Gruber
Stenzel sieht keinen Rücktrittsgrund oder Fehler
Ursula Stenzel bei ihrer Rede am 7.9.2019
Michael Bonvalot
Stenzel bei ihrer umstrittenen Rede Samstagabend
Fackelmarsch mit Stephansdom im Hintergrund
Michael Gruber
Die Veranstaltung fand in der Wiener Innenstadt statt
Fackelmarsch Plakat
Michael Gruber
Ursprünglich hätte die Veranstaltung am Kahlenberg stattfinden sollen

Wölbitsch: „Inakzeptabel, befremdlich, falsches Signal“

Als „inakzeptabel, befremdlich und völlig falsches Signal“ bezeichnete auch ÖVP-Stadtrat Markus Wölbitsch den Auftritt. „Wir erwarten uns den Ausschluss von Ursula Stenzel aus der FPÖ und ihren Rücktritt. Denn der Verein der Identitären wird genutzt, um extremistisches Gedankengut zu verbreiten. Daher ist es richtig und wichtig, Überlegungen anzustellen, wie die Behörden effektiv gegen solche Vereine vorgehen können – und nicht sie durch Auftritte aufzuwerten.“

Stenzel habe sich durch den Auftritt „endgültig für die Politik untragbar gemacht", so NEOS-Wien-Klubobmann Christoph Wiederkehr: „Wer mit den Rechtsextremen marschiert und dort auch noch Reden hält, hat in der Politik nichts verloren! Schon gar nicht in einer Regierungsfunktion.“ Auch Wiederkehr fordert Stenzels Rücktritt.

„Wieder beweist die FPÖ welch Geistes Kind sie ist“, sagte der Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG), Oskar Deutsch. „In jedem europäischen Staat wäre ein Rücktritt von allen Ämtern und ein Parteiausschluss die logische, unmittelbare Folge. Nur bei der FPÖ nicht.“

NEOS für Abschaffung „nicht amtsführender Stadträte“

Montagfrüh kündigten ÖVP und NEOS in Reaktion auf den Auftritt der nicht amtsführenden FPÖ-Stadträtin jeweils einen Antrag für die nächste Nationalratssitzung an. Die ÖVP will noch vor der Wahl über die von ihr geforderte Änderung des Vereinsrechts abstimmen lassen. „Wir werden im Septemberplenum einen Antrag auf Änderung des Vereinsrechts und damit für ein Verbot der Identitären Bewegung stellen“, so ÖVP-Klubobmann Wöginger.

Die NEOS fordern indes die Abschaffung der nicht amtsführenden Stadträte. „In Summe zeigen die letzten Vorfälle, dass die Position der auch ehemaligen nicht amtsführenden Stadträte (neben Stenzel erinnere ich an Johann Gudenus und Eduard Schock) eine völlig unsinnige ist“, hieß es in einem Statement von NEOS-Chefin Beate Meinl-Reisinger gegenüber der APA. Es handle sich um „Versorgungsjobs, die dem Steuerzahler viel kosten, aber gar nichts bringen“.

Stenzel entschuldigte sich

Die FPÖ selbst will keine Konsequenzen nach dem Auftritt ziehen. Gerade Stenzel, „die selbst jüdischen Glaubens ist, eine Nähe zu den Identitären zu unterstellen, wäre mehr als absurd und geht völlig an der Faktenlage vorbei“, sagte FPÖ-Generalsekretär Harald Vilimsky am Vormittag.

So auch Stenzel selbst in einer persönlichen Stellungnahme: „Ich wurde, wie in den vergangenen Jahren zu der Veranstaltung zum Gedenken an die Befreiung Wiens von den Türken 1683 eingeladen. Für mich ist die Erinnerung an dieses Datum gerade in Zeiten der Ausbreitung des politischen Islam in Europa und der Allmachtsphantasien des türkischen Präsidenten Erdogan von enormer Bedeutung. Daher habe ich auch an dieser Veranstaltung teilgenommen.“

Dass „auch Vertreter der Identitären Bewegung anwesend gewesen sein sollen, war mir nicht bewusst“, so Stenzel weiter. „Hätte ich davon Kenntnis erlangt, hätte ich diese Veranstaltung selbstverständlich nicht besucht. Ich entschuldige mich dafür und möchte meine klare Ablehnung der Identitären Bewegung zum Ausdruck bringen.“

Nepp will 2020 „eigene Veranstaltung“ abhalten

Die FPÖ werde nächstes Jahr wieder eine eigene Veranstaltung zum Gedenken an das Ende der Türkenbelagerung im Jahr 1683 abhalten, sagte der Wiener FPÖ-Vizebürgermeister Dominik Nepp Sonntagmittag in einer Aussendung. Zuletzt fand laut Nepp eine solche Befreiungsfeier anlässlich des Jubiläums im Jahr 2013 statt. „Wir laden auch alle anderen Parteien ein, sich an dieser Veranstaltung im kommenden Jahr zu beteiligen.“

Auf sozialen Medien kursierte am Samstagabend ein Video mit Stenzel während des Fackelzuges in der Innenstadt. Man habe „ein Zeichen gesetzt“ und sie halte es „für wahnsinnig wichtig, dass besonders junge Leute dieses Geschichtsbewusstsein heute haben“, sagte sie – mehr dazu in Stenzel bei Rechtsextremen-Aufmarsch (news.orf.at; 7.9.2019).

Polizei: 200 bis 300 Teilnehmer

Gegendemonstrantinnen und -demonstranten protestierten gegen die Rechtsextremen und skandierten unter anderem: „Es gibt kein Recht auf Nazipropaganda“. Laut Polizei nahmen 200 bis 300 Personen an der Veranstaltung der Rechtsextremen teil. Es habe keine Vorfälle gegeben, an der Gegendemonstration hätten 80 Menschen teilgenommen. Nachdem sich die Demonstranten zunächst an der Mölker Bastei versammelt hatten, fand am späten Abend die Abschlusskundgebung am Karl-Lueger-Platz, statt.

Die „Offensive gegen Rechts“, die gegen den Aufmarsch der Identitären demonstriert hatte, zeigte sich am Sonntag in einer Aussendung erfreut darüber, dass die rechtsextreme Bewegung ihre ursprünglich geplante Route änderte und die Veranstaltung vom Kahlenberg in die Wiener Innestadt verlegte: „Es ist uns gelungen, die identitäre Propagandashow zu verhindern. Das ist ein Erfolg der antifaschistischen Bewegung,“ zog OGR-Sprecherin Käthe Lichtner Bilanz.

Am Sonntag hagelte es bundesweit heftige Kritik an Stenzel und der FPÖ. So bezeichnete der ehemalige Koalitionspartner ÖVP die Teilnahme Stenzels an dem Aufmarsch als „inakzeptabel“ – mehr dazu in Parteien fordern Rücktritt Stenzels (news.ORF.at; 8.9.2019).