René, Elisabeth Hammer, Neunerhaus
Johannes Greß
Johannes Greß
Chronik

Ehemalige Obdachlose werden zu „Peers“

Beim Lehrgang des Wohnungslosenvereins Neunerhaus werden aktuell ehemalige Obdachlose für die Arbeit in der Wohnungslosenhilfe ausgebildet. Die wichtigste Ressource der neuen „Peers“: Erfahrung, Respekt und Glaubwürdigkeit.

Im Neunerhaus macht man’s so, wie’s eigentlich auf der Hand liegt: Jene, die es am besten wissen, geben ihr Wissen an jene weiter, die es am dringendsten benötigen. Mit dem Zertifikate-Lehrgang der Wohnungslosenhilfe Neunerhaus werden daher ehemalige Obdachlose zu „Peers“ für andere Wohnungslose. Das Programm läuft seit Februar, kommende Woche schließen erstmals 17 Teilnehmerinnen und Teilnehmer den Kurs ab.

Am Anfang stand die Überlegung, „wie können wir Hilfe so gestalten, dass sie möglichst wirkungsvoll sein kann?“, erklärt Elisabeth Hammer, Neunerhaus-Geschäftsführerin. Im europäischen Ausland, vor allem in Skandinavien und Großbritannien, seien Peer-Programme dieser Art bereits Gang und Gäbe. Also habe man begonnen, auch in Wien ein solches Programm zu konzipieren und sich nach potentiellen Peers umzusehen. Diese sollten vor allem eines mitbringen: „Street-Credibility“.

Erfahrung und „Street-Credibility“

René ist einer von ihnen und hat den Lehrgang zum Peer so gut wie abgeschlossen. Nur die Präsentation seiner Abschlussarbeit steht noch bevor. Im Laufe seiner Ausbildung hat er immer wieder festgestellt: „Es ist sehr hilfreich, wenn die Leute merken, ob man eine Ahnung davon hat, wie es ist, wohnungslos zu sein“. Sie fühlen sich dadurch „mehr verstanden“.

René, Elisabeth Hammer, Neunerhaus
Johannes Greß
René, einer der ersten Absolventen, mit Neunerhaus-Geschäftsführerin Elisabeth Hammer

Insgesamt sieben Module umfasst die Ausbildung zum „Peer“. Die einzelnen Abschnitte behandeln zum Beispiel das Thema „zwischenmenschliche Beziehungen“, setzen sich mit „Vielfalt und Gesellschaft“ oder „Psychischen Erkrankungen und Suchterkrankungen“ auseinander. Außerdem absolvieren die Teilnehmerinnen und Teilnehmer Praktika in einer Wohnungsloseneinrichtung, um Berufserfahrung zu sammeln. Dazu kommen regelmäßige Lerngruppen mit anderen Peers und das Schreiben eines Lerntagebuchs.

Die wichtigste Ressource bringen die zukünftigen Peers aber ohnehin mit: „Sie wissen, was es heißt, auf der Straße zu leben und wohnungslos zu sein“, so Hammer. Dabei können sie mithilfe ihres eigenen Erfahrungsschatzes andere ermutigen und „zeigen, dass es einen Weg heraus gibt“.

„Nicht nur wegen dem Geld“

Genau diesen „Weg heraus“ behandelt auch René in seinem Abschlussprojekt mit dem Thema „Empowerment“. Das heißt, die eigenen Erfahrungen, Erlebnisse und Krisen teilen – und zeigen, dass es einen Weg aus der Obdachlosigkeit gibt. Dabei geht es auch darum, „den Leuten wieder Lust am Leben zu machen“, erklärt der 38-Jährige.

René hat eine Ausbildung als Elektriker und IT-Techniker. Außerdem besitzt er einen Führerschein. „Auf das kann ich immer zurückgreifen“. Auf den Lehrgang war er während seiner Zeit in der Neunerhaus-Unterkunft Billrothstraße aufmerksam geworden. Für die Ausbildung hat er sich entschieden, um einer „sinnvollen und wertschätzenden Arbeit nachzugehen“ – eine, die er „nicht nur wegen dem Geld“ macht.

René, Elisabeth Hammer, Neunerhaus
Johannes Greß
Für den Lehrgang hatten sich doppelt so viele Personen angemeldet wie Plätze vorhanden waren.

Hammer erinnert sich noch gut an die anfänglichen Zweifel. Ob das mit dem Programm auch tatsächlich so funktioniere, wie man sich das vorgestellt hatte? Ihr Resümee nach dem ersten Lehrgang lautet: voll zufrieden. Mehr als doppelt so viele Personen hatten sich zum Kurs im Februar angemeldet, die Nachfrage nach den Peers bei Wiener Wohnungsloseneinrichtungen ist hoch – deshalb werde es auch eine Fortsetzung des Programms geben. Dann werden auch einige der diesjährigen Absolventinnen und Absolventen Kurse abhalten.