Angeklagter vor Gericht
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Chronik

Versuchter Doppelmord: Dolmetscher orten „Skandal“

Der Freispruch vom versuchten Doppelmord für einen 36-jährigen Filipino am Wiener Landesgericht sorgt für Diskussionen. Der Dolmetscherverband spricht von einem „Skandal“, weil die Polizei einen Dolmetscher einsetzte, der nicht Philippinisch spricht.

Dem Filipino war vorgeworfen worden, im November 2018 in Wien-Liesing zwei junge Kroaten niedergestochen und schwerstens verletzt zu haben. Dass von der Polizei ein nicht zertifizierter Dolmetscher zur Durchführung der Beschuldigteneinvernahme beigezogen wurde, „betrachten wir als Skandal“, meinte Elisabeth Isabel Prantner-Hüttinger, Sprecherin des Österreichischen Verbands der allgemein beeideten und gerichtlich zertifizierten Dolmetscher. Erst bei Gericht sei ein qualifizierter Dolmetscher beigezogen worden, bemängelte sie.

Tatsächlich hatte die Polizei zur Befragung des Filipino auf einen Übersetzer zurückgegriffen, der weder in der Dolmetscherliste eingetragen war noch die Muttersprache des Verdächtigen beherrscht. Bundesweit gibt es weniger als ein halbes Dutzend amtlich anerkannter Übersetzer für die philippinische Sprache, und auf die Schnelle stand keiner von ihnen zur Verfügung.

Laut Anwältin „falsches Geständnis“

Im gegenständlichen Fall bedienten sich die Ermittler dann allerdings eines aus Somalia stammenden Polizeidolmetschers, der versuchte, sich auf Englisch mit dem Filipino zu verständigen. Laut dessen Rechtsvertreterin Astrid Wagner führte das dazu, dass der ungenügend Englisch sprechende Mann ein „falsches Geständnis“ ablegte.

Später stellte sich heraus, dass auf der sichergestellten Tatwaffe – einem Klappmesser – keine DNA-Spuren des 36-Jährigen waren. Er kam daher nach über achtmonatiger U-Haft Ende Juli mangels dringenden Tatverdachts auf freien Fuß. Am Ende wurde der Mann von den Geschworenen einstimmig freigesprochen, wobei diese Entscheidung noch nicht rechtskräftig ist.

Bruch des Handgelenks übersehen

Dass der 36-Jährige Englisch nicht ausreichend versteht, war kurz nach Abschluss der polizeilichen Befragung aufgefallen. Als er in die Justizanstalt Josefstadt eingeliefert wurde, bekam der Filipino eine Übersetzerin beigestellt, die mit ihm ebenfalls in englischer Sprache zu kommunizieren versuchte. Sie verständigte jedoch sogleich die Justizbehörden, dass der Mann sie nicht verstehe, worauf die Justiz einen zertifizierten Dolmetscher für die philippinische Sprache heranzog.

Außerdem fiel auch erst in der Justizanstalt auf, dass der 36-Jährige eine Fraktur des linken Handgelenks aufwies, die seinen Angaben zufolge von einem Sturz am Tatort herrührte. Die Fraktur war den Kriminalisten offenbar entgangen. Dabei ist der Mann Linkshänder. Ob sich mit einer gebrochenen Hand kräftige Messerstiche gegen zwei Männer führen lassen, erscheint zumindest fraglich. Das Protokoll bei seiner ersten Haftverhandlung im Landesgericht hatte der 36-Jährige jedenfalls schmerzbedingt nicht unterschrieben.

DNA von anderem Filipino auf Tatwaffe

Ein von Verteidigerin Wagner beantragtes DNA-Gutachten ergab, dass an der Tatwaffe das Blut eines 32 Jahre alten Landsmanns des Filipino haften geblieben war. Der 32-Jährige hatte den 36-Jährigen zu einer Weihnachtsfeier in der Veranstaltungshalle begleitet, wo sie in eine Streiterei mit jungen Kroaten gerieten. Zwei von ihnen – damals 21 und 22 Jahre alt – wurden schließlich niedergestochen – aus Sicht der Staatsanwaltschaft aber nicht vom 32 Jahre alten Filipino.

Das Verfahren gegen den zweiten Verdächtigen, der sich zwischenzeitlich kurz in Haft befand, wurde inzwischen eingestellt, teilte Behördensprecherin Nina Bussek am Dienstag mit. Ausschlaggebend dafür war eine Gegenüberstellung der beiden Verdächtigen mit dem jüngeren Kroaten, der im Unterschied zu seinem Freund noch eine genaue Erinnerung an den Tatablauf hat. Er zeigte sich überzeugt, dass der 36-Jährige der Täter war und bekräftigte das auch im Gerichtssaal.