Gerichtsaal in Wien
ORF.at/Patrick Wally
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Chronik

Enthaftung nach Prozess um Mordversuch

Wegen Notwehrüberschreitung ist am Freitag am Landesgericht für Strafsachen in Wien eine Frau nicht rechtskräftig zu acht Monaten bedingter Haft verurteilt worden. Ihr Lebensgefährte sagte vor Gericht plötzlich zugunsten der Frau aus.

Die Tat liegt dreieinhalb Jahre zurück. Die Frau sprach von Handgreiflichkeiten während eines Streits darüber, warum der Mann die Frau nicht in die Wohnung gelassen hatte. Sie habe laut geschrien, er habe ihr Mund und Nase zugehalten. Der Versuch, ihn wegzustoßen, misslang. In Panik zu ersticken habe sie nach einem Messer gegriffen und „kurz hineingepikst“. Sie habe ihn nicht verletzen oder töten wollen.

Dass der Mann dabei lebensgefährlich verletzt wurde, bekam er zunächst nicht mit. Er entdeckte zwar einen Blutfleck am T-Shirt, doch in der Annahme, es handelte sich nur um einen Kratzer, schickte er seinen Freund weg, damit er die Differenzen klären könne. Beim Gespräch sei er dann zusammengebrochen und ins Spital gebracht worden. Laut Gerichtsmediziner Christian Reiter hat der Stich die Herzkammer angeschnitten, sodass 400 Milliliter Blut in den Herzbeutel flossen und das Herz in seiner Ausdehnungsfähigkeit behindert haben.

Vor Polizei oder vor Gericht gelogen?

Das Opfer und ein Freund bestätigten nun vor Gericht die Version der Frau. Ursprünglich hatten sie gegenüber der Polizei behauptet, die Frau sei durch ein Fenster in die Wohnung geklettert und habe ihrem Freund mit einem mitgebrachten Messer in die Brust gestochen. Auf den Vorwurf des Schwurgerichtsvorsitzenden Thomas Kreuter, dass das nun eine ganz andere Aussage sei, meinte der Mann: „Ich hab’ das damals anders empfunden.“

Daraufhin meinte der beisitzende Richter, Norbert Gerstberger: „Man kann das nicht so empfinden, man kann nur falsch aussagen.“ Es gebe nur zwei Möglichkeiten, entweder war die Aussage damals vor der Polizei falsch oder nun vor Gericht. Eine der Versionen sei „objektiv und offenkundig falsch“, sagte Gerstberger.

Frau stellte sich der Polizei

Fakt ist, dass das Ex-Paar trotz des Vorfalls für einige Zeit wieder zueinander gefunden hat und sogar für einige Monate in die Türkei ausgewandert ist. Da die 30-Jährige zum Teil auch als U-Boot in Wien lebte, war sie bis 2019 für die Polizei nicht greifbar. Als sie erfuhr, dass gegen sie wegen Mordversuchs ermittelt wurde, stellte sie sich. Sie saß seit dem Sommer in Untersuchungshaft.

Im Prozess bejahten die Geschworenen zwar mit 7:1 die an sie gestellte Frage nach versuchtem Mord, machten jedoch Notwehrüberschreitung geltend. Sie billigten der Frau zu, zur Abwehr des gegen sie gerichteten Angriffs zum Messer gegriffen und dabei das gerechtfertigte Maß an Notwehr überschritten zu haben. Die Notwehrüberschreitung wurde als grob fahrlässige schwere Körperverletzung qualifiziert. Die Frau wurde zu acht Monaten bedingt verurteilt und sofort enthaftet. Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Die Beschuldigte nahm das Urteil an, die Staatsanwältin gab keine Erklärung ab.