Viennale Schild verschwommen
APA/Georg Hochmuth
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Kultur

57. Viennale startet mit Liebesgeschichte

Das Festivalvorfieber ist am Dienstagabend um einige Grad gestiegen: Viennale-Chefin Eva Sangiorgi hat im Stadtkino das detaillierte Programm enthüllt. Eröffnet wird das 57. Filmfestival am 24. Oktober mit Celine Sciammas „Portrait de la jeune fille en feu“. Bis 6. November folgen mehr als 300 weitere Filme.

Die Unterscheidung in Spiel- und Dokumentarfilm unter den gut 300 Arbeiten aus 40 Ländern bleibt wie schon 2018 aufgeben, stattdessen gibt es andere Kriterien der Selektion. Der Jugend sei etwa ein gewisser Schwerpunkt gewidmet, so Sangiorgi am Dienstagabend – von Ulrich Köhlers und Henner Wincklers „Das freiwillige Jahr“ über „Zombie Child“ von Bertrand Bonello bis zu „Une fille facile“ von Rebecca Zlotowski.

Eva Sangiorgi vor Viennale-Plakat
APA/Helmut Fohringer
Eva Sangiorgi präsentierte ihr Programm für die 57. Viennale

Auch die Rolle der Frau in der Gesellschaft werde besonders beleuchtet, was vom russischen Historienporträt „Dylda“ von Kantemir Balagov bis zu Sabine Derflingers Politikerinnendoku „Die Dohnal“ reicht. Und nicht zuletzt spiegle sich die Flucht in der einen oder anderen Weise in vielen Filmen wider, so etwa in Mati Diops gefeiertem Debüt „Atlantique“, so Sangiorgi.

Kontrapunkt am Ende

Sciammas Cannes-Starter bringt nicht nur Hauptdarstellerin Adele Haenel nach Wien, sondern auch die Liebesgeschichte zweier Frauen auf die große Leinwand des Gartenbaukinos. Im Frankreich des Jahres 1770 lässt die Regisseurin eine Künstlerin und eine Adeligentochter aufeinandertreffen und schält sukzessive Gemeinsamkeiten der zunächst so verschieden wirkenden Protagonistinnen heraus.

Diesem in jeder Hinsicht weiblichen Blick stellt die Viennale am anderen Ende mit „Martin Eden“ einen Kontrapunkt entgegen, ist der diesjährige Abschlussfilm doch eine Bearbeitung des gleichnamigen, autobiografischen Romans von Jack London durch Pietro Marcello.

Alle Filme auf einen Blick

Das gesamte Programm der Viennale ist nun auf der Viennale-Homepage zu finden.

Programm von PJ Harvey bis Johanna Dohnal

Nah an seine Figuren heranzoomen auch andere Werke: So etwa Seamus Murphy in „A Dog Called Money“, das zwar oberflächlich die Musikerin PJ Harvey bei einer Albumproduktion begleitet, aber eigentlich mehr künstlerischer Essay über Krisenherde und ihre Bewohner ist. Oder Sabine Derflingers Dokumentation „Die Dohnal“, die der früheren Frauenministerin, SPÖ-Politikerin und „lesbisch-feministischen Superheldin“ ein Denkmal setzt. US-Kultregisseur Terrence Malick hat sich wiederum mit dem Wehrdienstverweigerer und Nazigegner Franz Jägerstätter auseinandergesetzt („A Hidden Life“).

Dem Zweiten Weltkrieg begegnet man weiters in „Jojo Rabbit“, wenngleich in einer etwas unkonventionellen Art und Weise: Hollywood-Regisseur Taika Waititi inszeniert darin einen zehnjährigen Buben mit Adolf Hitler als imaginären Freund. Moral, Spaß und Gräuel geben sich beim satirischen Toronto-Gewinner die Hand. Preisgekrönt ist auch „Synonymes“ von Nadav Lapid: Das bei der Berlinale mit dem Goldenen Bären ausgezeichnete Drama erzählt von einem jungen Mann, der in Paris seine israelischen Wurzeln hinter sich lassen möchte.

Große Regienamen vertreten

Ebenfalls in Berlin reüssieren konnte Angela Schanelec, deren prämiertes Werk „Ich war zuhause, aber…“ Teil eines der deutschen Regisseurin gewidmeten Schwerpunkts ist. Große Regienamen sind heuer jedenfalls wieder gut vertreten, seien es die Dardenne-Brüder („Le jeune Ahmed“ verhandelt jugendliche Radikalisierung), Olivier Assayas („Wasp Network“ ist als Kubathriller angelegt) oder Woody Allen („A Rainy Day in New York“ gefällt sich als Heimspiel des US-Filmemachers).

Mit reichlich Vorschusslorbeeren kommt Noah Baumbachs „Marriage Story“ nach Wien, wobei der Indiemeister für seine Trennungsgeschichte ein hochkarätiges Cast um Adam Driver und Scarlett Johansson versammelt hat. Auf subtilen Horror setzt eine heimische Größe: In Jessica Hausners „Little Joe“ geht große Gefahr von einer eigentlich fragil wirkenden Pflanze aus, die aber viel Einfluss auf ihre Umgebung hat. In Cannes brachte dieses Setting Emily Beecham den Preis als beste Darstellerin ein.

Gartenbau Kino von außen mit Viennale-Bild
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Das Gartenbaukino ist wieder Zentrum des Filmfestivals

Filmwelten in schwarz-weiß

Ein wahrer Genreexperte ist Robert Eggers, der nach seinem Debüterfolg „The Witch“ nun Robert Pattinson und Willem Dafoe in das gänzlich in schwarz-weiß gehaltene „Lighthouse“ schickt. Letzterer ist auch als „Tommaso“ zu erleben: Abel Ferrara macht den US-Charakterdarsteller zu einem Suchenden, der trotz unzähliger Fähigkeiten zwischen den Stühlen sitzt. Peter Parlow verhandelt in „The Plagiarists“ hingegen Wahrheit und Kopie, wenn er Hipster schwadronieren lässt.

Das zuletzt sehr präsente Thema Flucht greift Mati Diop in ihrem Debüt „Atlantique“ (Großer Preis der Jury in Cannes) auf: Darin kämpft Ada mit den Erwartungen ihrer Familie und ihren eigenen Wünschen, während ihre große Liebe die Reise nach Europa offenbar nicht überlebt hat. Ulrich Köhler und Henner Winckler schicken hingegen ein ungleiches Vater-Tochter-Gespann in „Das freiwillige Jahr“, und Rita Azevedo Gomes nimmt für „A Portuguesa“ Anleihen bei Robert Musils Novelle „Die Portugiesin“. Und nicht zuletzt verneigt sich die Viennale mit „Varda par Agnes“ bei der im Frühjahr verstorbenen Filmlegende Agnes Varda.

Neue Nebenschiene „Monografien“

Beibehalten im Viennale-Reigen wird das Festivalzentrum im Museumsquartier als Anlaufpunkt der Festivalmeute für Kritikerrunden, Diskussionen mit Filmemachern und Partys. Neu ist hingegen die Nebenschiene „Monografien“ für einzelne Regisseure. Hier ehrt man heuer die deutsche Filmemacherin Angela Schanelec und ihren französischen Kollegen Pierre Creton. Der Tunesier Ala Eddine Slim wird als Kinowerker an den Rändern gefeiert, und das Quartett komplettiert man mit der portugiesischen Regisseurin Silvia das Fadas.