Angeklagte vor dem Prozess
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Chronik

„Sterbehilfe“: Schuldspruch wegen Mordes

Eine Frau hat mit ihrem Lebensgefährten gegenseitige Sterbehilfe vereinbart. Als der Mann im Vorjahr todkrank wurde, zog die Frau im AKH den Beatmungsschlauch. Nun ist sie wegen Mordes nicht rechtskräftig schuldig gesprochen worden.

Unter Anwendung des außerordentlichen Milderungsrechts erhielt die bisher unbescholtene Frau drei Jahre Haft, davon ein Jahr unbedingt. Die Geschworenen hatten nach überraschend kurzer Beratungszeit die Hauptfrage nach Mord mit 7 zu 1 Stimmen bejaht. Der Version der Angeklagten, die sich mit Tötung auf Verlangen (§ 77 StGB) verantwortet hatte, schenkten sie mehrheitlich keinen Glauben. Verteidiger Daniel Gahleithner erbat Bedenkzeit, Staatsanwalt Martin Ortner gab vorerst keine Erklärung ab. Das Urteil ist damit nicht rechtskräftig.

Urteil nach Sterbehilfe

Weil sie bei ihrem Partner die lebenserhaltenden Maßnahmen im AKH beendet hat, muss eine 53-Jährige jetzt ins Gefängnis.

Sollte das Urteil rechtskräftig werden, könnte der Frau das Gefängnis erspart werden. Sie wäre grundsätzlich eine klassische Fußfessel-Kandidatin: Wenn wie in ihrem Fall die zu verbüßende Strafzeit zwölf Monate nicht übersteigt, kann ein Antrag auf Genehmigung des elektronisch überwachten Hausarrests gestellt werden. Dieser ist bei Vorliegen gesetzlich genau geregelter Kriterien – es müssen unter anderem eine geeignete Unterkunft vorhanden und ein Einkommen zur Bestreitung des Lebensunterhalts vorhanden sein – zu genehmigen.

Staatsanwalt: „Im Suff Unfug getrieben“

„Das ist ein bewegender Fall, der für die Öffentlichkeit, die Gesellschaft spannend ist. Was darf man mit einem Sterbenden tun, was darf man mit einem Sterbenden nicht tun“, erklärte der Staatsanwalt am Ende der Verhandlung. Die Angeklagte habe keinesfalls Sterbehilfe geleistet, sondern „im Rausch, im Alkoholsuff Unfug getrieben“. Ein derartiges Verhalten sei nicht zu tolerieren: „Dann können’S auf jeder Intensivstation in Österreich einen WEGA-Beamten hinstellen. Und zu einer Erbtante zwei.“

Der Verteidiger erwiderte, es sei für seine Mandantin eine Frage der Ehre, der Liebe gewesen, das zu tun. Laut dem Sachverständigen für Intensivmedizin, Rudolf Likar, war der Patient zum Zeitpunkt, als die Schläuche gezogen wurden, längst nicht mehr bei Bewusstsein: „Der Sterbeprozess war im Gange.“ Der Mann wäre auch ohne Zutun der 53-Jährigen gestorben. Man habe ihn im Krankenhaus nur mehr mit Schlaf- und Schmerzmitteln versorgt, um Angehörigen die Möglichkeit zu geben, sich von ihm zu Lebzeiten zu verabschieden: „Wenn man die Medikamente weggenommen hätte, wäre er sofort gestorben.“

„Auf sein Verlangen hin getötet“

Die 53-jährige Frau hatte im Vorjahr ihrem im Sterben liegenden Lebensgefährten im Wiener AKH den Beatmungsschlauch, eine Magensonde sowie den zentralen Dialysekatheter entfernt. Im Prozess sagte sie aus, sie habe ihren Lebensgefährten auf sein Verlangen hin getötet. Auch wenn der Mann im Sterben lag, habe die Handlung der Beschuldigten den Tod früher herbeigeführt, sagte der Staatsanwalt. Von Sterbehilfe könne keine Rede sein, denn der Mann konnte keinen konkreten Willen dazu äußern, da er sich zu diesem Zeitpunkt bereits im Koma befand, sagte der Ankläger.

Der Verteidiger plädierte auf Tötung auf Verlangen, das Paar hätte immer wieder darüber gesprochen. „Hasi, hilf mir, erlöse mich, ich will würdig sterben“, zitierte er die Worte des 70-Jährigen. Bei Tötung auf Verlangen drohen bis zu fünf Jahre Haft, bei Mord zehn bis zwanzig Jahre bzw. lebenslange Haft.

Wodka „zur Beruhigung und zum Runterkommen“

Zur Vorgeschichte: Weil es dem Pensionisten Ende März 2018 wegen einer verschleppten Lungenentzündung immer schlechter ging, wurde er ins Wiener AKH eingeliefert. Am 1. April verschlechterte sich sein Zustand zusehends, und der 70-Jährige wurde auf die Intensivstation gebracht. Seine Nieren drohten zu versagen, er erhielt einen Dialysekatheter und musste künstlich beatmet werden. Ab dem 2. April war der 70-Jährige gar nicht mehr ansprechbar.

Vier Tage später wurde den Ärzten klar, dass der Mann nur noch wenige Stunden zu leben hatte. Weil die Mediziner beschlossen, im Falle eines Kreislaufstillstands auch keine Reanimation mehr durchzuführen, informierten sie die 53-jährige Lebensgefährtin darüber, die sich – begleitet von Freunden – auf den Weg machte. „Zur Beruhigung und zum Runterkommen“ trank die Frau Wodka.

Auf der Intensivstation angekommen, wurde sie von den Ärzten über den Zustand ihres Freundes aufgeklärt. Sie trank auch im Spital mehrmals aus einer Wodkaflasche und schrie auf der Station: „Willi, bleib, Willi, wach auf, geh nicht!“ Ein Pfleger versuchte sie zu beruhigen und sprach mit ihr über den Sterbeprozess. Als der Pfleger gegen 17.00 Uhr aus dem Zimmer ging, war die Frau für zehn Minuten mit dem Patienten alleine.

„Ich wollte das Versprechen einlösen“

Plötzlich ertönte aus dem Zimmer der akustische Alarm der Beatmungsmaschine, an der der 70-Jährige angeschlossen war. Als das medizinische Personal ins Zimmer stürmte, hielt die 53-Jährige den Sterbenden im Arm, in der anderen Hand hielt sie den Dialysekatheter, der am Hals des Mannes befestigt war. Auch der Beatmungstubus, die Magensonde sowie EKG-Kabel waren bereits entfernt. Laut Staatsanwalt musste dazu viel Kraft aufgewendet werden, denn der Dialysekatheter war zweimal an der Haut festgenäht. Die Frau war voll Blut, das aus den Wunden des Mannes spritzte.

Die Frau flüchtete, fünf Minuten später starb ihr Freund. „Ich wollte das Versprechen einlösen“, sagte die 53-Jährige. Aufgrund der Alkoholisierung habe sie den Mut dazu gehabt. Durch das Entfernen der lebenserhaltenden Maßnahmen wurden die Sauerstoffzufuhr und die Zufuhr der chemischen Wiederbelebungsmedikamente unterbrochen. Auf die Frage der Schwurgerichtsvorsitzenden, ob sie das getan habe, um nicht länger zuschauen zu müssen, meinte die Angeklagte: „Nein, weil die schlimmste Zeit war nicht im AKH, sondern danach, als ich wusste, dass ich ihn nimmer hab.“

Frau wurde festgenommen

Mehr als 16 Stunden später wurde die Frau zu Hause festgenommen. Sie war stark alkoholisiert und hatte Medikamente gegen Angststörung eingenommen. Gutachter gehen davon aus, dass sie zum Tatzeitpunkt wahrscheinlich an die 1,8 Promille Alkohol im Blut gehabt haben könnte, was keine volle Berauschung darstellt, und dass die Angeklagte somit wusste, was sie tat. Auf die Frage der Richterin, wie sie heute darüber denke, meinte die 53-Jährige. „Ich würde es wieder machen, wenn ich es ihm versprochen hätte.“