Wohnhaus mit Müllcontainer im Vordergrund
ORF
APA/Stefan Somweber
Chronik

Ein Freispruch im Mordprozess ohne Leiche

20 Jahre Haft für den Angeklagten, Freispruch für die Angeklagte: Im Prozess um den Mord an einem 43-jährigen Ungarn im Mai in Ottakring sind die Urteile gefallen. Die Leiche des Mordopfers wurde nie gefunden und dürfte in einer Müllverbrennungsanlage verbrannt sein.

Die Geschworenen nahmen es einstimmig als erwiesen an, dass der gebürtige Ungar seinen Landsmann Ende Mai 2019 in einer Wohnung in Ottakring mit einem Hammer und zwei Schraubenziehern getötet hat. Der 29-Jährige wurde zu 20 Jahren Haft verurteilt und in eine Anstalt für abnorme Rechtsbrecher eingewiesen. Er hat nach jahrelanger Heroin- und Alkoholsucht eine Persönlichkeitsstörung sowie eine Epilepsie entwickelt und ist aufgrund dessen einem psychiatrischen Gutachten zufolge als gefährlich einzustufen.

Die als Beitragstäterin mitangeklagte damalige Freundin des 29-Jährigen wurde von den acht Laienrichtern dagegen mit 4:4 Stimmen vom Mordvorwurf freigesprochen. Bei Stimmengleichheit war zugunsten der Angeklagten vorzugehen. Weil sie dem 29-Jährigen beim Beseitigen der Leiche verhalf, kam sie mit drei Monaten bedingt für die Störung der Totenruhe davon. Die Urteile sind nicht rechtskräftig.

Der Angeklagte vor Prozessbeginn
APA/Stefan Somweber
Der 29-Jährige widerrief sein Geständnis

Angeklagter widerrief Geständnis

„Wenn ich geahnt hätte, dass diese Person nicht tot war, hätte ich diese Schraubenzieher nicht hineingeschlagen. Ich wollte diesen Mann mit Sicherheit nicht töten“, sagte der Angeklagte. Der gebürtige Ungar hatte nach seiner Festnahme ein Geständnis abgelegt. Die Staatsanwältin sprach von einem Saufgelage im Obdachlosenmilieu, das in der Wohnung einer 30-jährigen Wienerin stattfand. Die Frau bezieht aufgrund einer Intelligenzminderung, einer psychischen Erkrankung und jahrelangen Alkoholmissbrauchs eine Invaliditätspension. Sie war als Beitragstäterin mitangeklagt.

Der Ungar und die Frau lernten einander zufällig kennen. Das Paar begegnete dann einem 43-jährigen, der ebenfalls aus Ungarn stammte. Sie nahmen ihn zum Trinken mit in die Wohnung. Dort soll er die Frau zu küssen versucht haben, worauf der 29-Jährige laut Staatsanwältin „auszuckte“. Er soll diesem mehrere Faustschläge ins Gesicht verpasst haben, worauf dieser zu Boden stürzte und bewusstlos liegen blieb. Als Versuche scheiterten, diesen wieder zu Bewusstsein zu bringen, fasste das Paar laut Anklage den Entschluss, den Mann zu töten.

Nachbar machte Polizei auf Blut aufmerksam

Danach sollen sie den Toten in eine Decke gewickelt und mehrere Tage neben ihm in der Wohnung verbracht haben. Am 29. Mai schließlich sollen sie die Leiche in einen Müllcontainer im Müllraum des Wohnhauses geworfen haben. Ein Hausbewohner hatte bereits am 29. Mai der Polizei gemeldet, neben der Wohnungstür der mitangeklagten 30-Jährigen befinde sich auffallend viel Blut. Die alarmierte Polizei gab sich jedoch mit der Erklärung der Frau zufrieden, sie sei gestürzt und habe sich die Nase aufgeschlagen. Zu diesem Zeitpunkt befand sich die Leiche noch im Müllraum des Hauses.

Leiche wohl mit Hausmüll verbrannt

Am 31. Mai erlangten die Strafverfolgungsbehörden dann Kenntnis von dem Tötungsdelikt, nachdem der 29-Jährige sich vor einem Obdachlosen damit gebrüstet hatte, er habe jemanden umgebracht. Die Leiche des Mordopfers ist vermutlich mit dem Hausmüll in die Müllverbrennungsanlage am Flötzersteig gebracht worden. Als man dort von der Suchaktion erfuhr, war die Hälfte des angelieferten Mülls schon verbrannt. Der andere Teil war bereits gepresst worden. Diesen Teil hätte man – mit offenem Erfolg – noch durchsuchen können. Allerdings hätte das möglicherweise mehrere Wochen in Anspruch genommen.

Ein Stillstand bei der Müllbeseitigung hätte Kosten von 50.000 bis 70.000 Euro pro Tag bedeutet und die Gemeinde Wien vor erhebliche Probleme gestellt, da während der Suche der Müllberg laufend angewachsen wäre. In Abwägung all dieser Umstände nahm daher ein Journalstaatsanwalt von einer Durchsuchungsanordnung Abstand, der gepresste Müll wurde der Vernichtung zugeführt. Der Leichnam wurde nie gefunden.