Opfer vor Kinderheim Wilhelminenberg
APA/Herbert Neubauer
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Chronik

Missbrauch in Kinderheimen: 52 Millionen für Opfer

Neun Jahre lang haben die Stadt und die Opferschutzorganisation Weisser Ring versucht, das Unrecht, das Kindern in Wiener Heimen angetan wurde, zusammenzufassen. Nun steht das Ergebnis fest: Insgesamt erhielten 2.384 Betroffene 52 Millionen Euro von der Stadt Wien.

„Es handelt sich hier um ein Kapitel in der Geschichte unserer Stadt, das nie hätte geschrieben werden dürfen“, teilte Jürgen Czernohorszky, amtsführender Stadtrat für Bildung, Integration, Jugend und Personal, am Mittwoch in einer Aussendung mit. Im Zeitraum zwischen 1945 und 1999 wurden zahlreiche Kinder und Jugendliche im Rahmen ihrer Unterbringung in Einrichtungen der Wiener Jugendwohlfahrt Opfer von Gewalt.

Opferzahl eklatant höher als ursprünglich vermutet

Die Stadt Wien und die Opferschutzorganisation Weisser Ring starteten im Jahr 2010 mit der Aufarbeitung des Geschehenen. Ursprünglich war man von einer Gesamtdauer von knapp einem Jahr und einem Budgetbedarf von zwei Millionen Euro ausgegangen. „Die Zahl der Meldungen überstieg jedoch alle Erwartungen um ein Vielfaches“, hieß es am Dienstag vom Weissen Ring, der nun, nach neun Jahren Projektlaufzeit, den Abschlussbericht veröffentlichte. Das genehmigte Budget sei über mehrere Stufen auf 52,53 Mio. Euro aufgestockt und die Meldefrist mehrfach verlängert worden.

In 71 Sitzungen bearbeitete ein Gremium aus acht Expertinnen und Experten mit unterschiedlichen Schwerpunkten insgesamt 3.139 Meldungen. Insgesamt 2.384 Betroffene erhielten finanzielle Hilfeleistung. Allen Betroffenen wurde auch Psychotherapie angeboten. Von den genehmigten rund 144.400 Einheiten wurde knapp die Hälfte auch tatsächlich in Anspruch genommen.

Weisser Ring als Anlaufstelle

„Die Opfer haben Unfassbares erlebt, es ist unsere Pflicht als Stadt, unsere Verantwortung wahrzunehmen, geschehenes Unrecht ohne Relativierung anzuerkennen und uns dafür aufrichtig und zutiefst zu entschuldigen“, stellte Bürgermeister Michael Ludwig klar. Ein zentraler Baustein dieser Aufarbeitung bestand darin, Unterstützungsmaßnahmen für die betroffenen Menschen vorzubereiten und durchzuführen. Die Opferschutzorganisation Weisser Ring agierte im Rahmen des Projekts als Anlaufstelle für Betroffene und Koordinationsstelle.

52 Millionen für Opfer

Insgesamt wurden mehr als 52 Millionen Euro aufgewendet, geht aus dem Abschlussbericht des Vereins für Verbrechensopferhilfe Weisser Ring hervor, der jetzt vorliegt.

Von der Stadt hieß es im Abschlussbericht am Mittwoch dazu, man habe aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt. Heute werden Kinder und Jugendliche, die nicht bei ihren Eltern leben können, nicht mehr in den geschlossenen Systemen großer Heime untergebracht. Sie leben in Krisenzentren und familienähnlichen Sozialpädagogischen Wohngemeinschaften sowie bei gut ausgewählten und ausgebildeten Pflegeeltern.

Situation heute: Krisenzentren statt Kinderheim

Dabei würden „die Stärkung der Kinderrechte, eine gute Ausbildung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, moderne Standards, funktionierende Kontrollinstrumente und vor allem die Schaffung einer Aufmerksamkeitskultur, um Fehlentwicklungen frühzeitig erkennen zu können, im Vordergrund stehen“.

„Es ist für uns heute schwer zu verstehen, wie unsere Institution, die dem Kinderschutz verpflichtet ist, so vielen Kindern und Jugendlichen so unfassbares Leid zufügen konnte. Unverständlich ist, wie in der Nachkriegszeit die Aufsichtsmechanismen derart versagen konnten“, so Johannes Köhler, Leiter der Wiener Kinder- und Jugendhilfe.