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Chronik

Amnesty kritisiert Polizeigewalt bei Demo

Amnesty International (AI) Österreich kritisiert das Vorgehen der Polizei bei der Klimademo am 31. Mai in Wien. In einem Bericht fordert sie eine unabhängige Untersuchungsbehörde für solche Fälle.

AI Österreich veröffentlichte am Mittwoch einen Bericht zu den Vorfällen und dem Umgang mit den Vorwürfen bei der Klimademonstration. „Es ist für uns menschenrechtlich wahnsinnig wichtig, dass man an solchen Versammlungen teilnehmen kann, ohne sich vor der Polizei und vor allem vor Verletzungen fürchten zu müssen“, sagte AI-Österreich-Geschäftsführer Heinz Patzelt. Einsätze wie der bei der Urania bewirkten genau das Gegenteil.

Am 31. Mai blockierten Aktivisten der Umweltschutzinitiativen „Ende Geländewagen“ und „Extinction Rebellion“ den Ring bei der Urania. Dabei platzierten sie Tripods auf der Straße. Das sind einfache dreibeinige Türme, an die sich jeweils zwei Aktivisten ketteten. Die Versammlung war nicht angemeldet, was laut Patzelt aber auch nichts zur Sache tut, legal sei sie trotzdem gewesen.

Gewaltmaßnahmen bei Räumung „unverhältnismäßig“

Erster Kritikpunkt von Amnesty ist, dass die Versammlung viel zu schnell aufgelöst wurde und damit das Recht auf Versammlungsfreiheit per se verletzt wurde. Der Polizei komme dabei die Aufgabe zu, friedliche Proteste zu ermöglichen und die Beteiligten zu schützen. Das gilt der Menschenrechtsorganisation zufolge genauso für Spontandemos.

Amnesty kritisiert weiters, dass die Zwangs- und Gewaltmaßnahmen bei der Räumung unverhältnismäßig waren. Einem Aktivisten wurde beim Abtransport der Organisation zufolge eine Handfesselsperre verpasst. Zwei Polizisten hätten seine Handgelenke gepackt und Schmerzgriffe angewendet. Bei einer späteren Behandlung wurde laut Amnesty festgestellt, dass der Mittelhandknochen der linken Hand gebrochen war.

Polizisten neben Aktivisten am Boden
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Umstrittener Polizeieinsatz bei der Urania

Ein anderer Aktivist sei ebenfalls mit Schmerzgriffen weggetragen worden, obwohl er sich nicht gewehrt habe. Ein Polizist habe ihn zu Boden gedrückt und ihm einen Schlag in den Hoden verabreicht – danach noch mehrere Schläge in die Nierengegend, weil er sich verspannt hätte. Laut Amnesty erlitt der Aktivist eine Prellung des Kopfes, Prellungen und Abschürfungen an der rechten Brustkorbhälfte und an beiden Armen. Die Menschenrechtsorganisation dokumentiert zudem einen Fall eines dritten Aktivisten, dem ebenfalls Prellungen, eine Rissquetschwunde und Abschürfungen zugefügt wurden.

Unbeteiligter in „Schwitzkasten“ genommen

Ein Unbeteiligter, der am Gehsteig stand, wurde wie andere zunächst aufgefordert wegzugehen. Er wurde laut Amnesty plötzlich von einer Polizeikraft ergriffen, durch die Sperrkette gezogen und in den „Schwitzkasten“ genommen. In weiterer Folge fixierten ihn zwei Beamte auf dem Boden in Bauchlage, zunächst parallel zu einem Polizeiwagen, nach einer Drehung durch die Polizisten quer zu dem Auto, mit dem Kopf unter dem Einsatzfahrzeug.

Als sich der Wagen in Bewegung setzte, zogen die Beamten den Mann ruckartig weg. In weiterer Folge wurden ihm Handschellen angelegt und er im Gefangenentransporter in einer Einzelzelle ins Polizeianhaltezentrum (PAZ) Roßauer Lände transportiert. Obwohl die Identität des Mannes bekannt war und keine strafrechtlich relevanten Vorwürfe gegen ihn erhoben wurden, wurde er über Nacht festgehalten, heißt es in dem AI-Bericht.

AI befürchtet durch Vorgehen „Chilling Effect“

„Statt von Respekt und Verhältnismäßigkeit in Taktik und Vorgehen war das Verhalten der Einsatzkräfte bei dieser Demo von Abwehr, Gewaltanwendung und rigoroser Machtdurchsetzung bestimmt“, sagte Patzelt. Er warnte davor, dass durch solche Einsätze ein „Chilling Effect“ ausgelöst werden können: Aus Furcht vor polizeilichen Maßnahmen könnten Menschen davon abgehalten werden, an Demonstrationen teilzunehmen.

Patzelt forderte, dass Polizisten die Dienstnummern bei solchen Einsätzen sichtbar tragen. Er kritisierte darüber hinaus den Umgang mit dem Vorkommnissen danach. Die Landespolizeidirektion Wien habe kommuniziert, dass die Evaluierung unterbrochen sei, weil Strafverfahren laufen. „Den logischen Zusammenhang muss man mir einmal erklären, was die Evaluierung eines Einsatzes mit Strafverfahren zu tun hat,“ so Patzelt.

Unabhängige Stelle soll solche Vorgänge untersuchen

Patzelt sagte, dass die Leute aus dem Innenministerium geholt und als eigene Gruppe beim Justizministerium zur Untersuchung solcher Vorfälle herangezogen werden sollten. Wie Personal aus dem Büro für besondere Ermittlungen (BBE) in Wien oder dem Bundesamt zur Korruptionsprävention und Korruptionsbekämpfung (BAK). Dabei sollte diese Gruppe auch von sich aus tätig werden dürfen.

Ein Problem sei, dass auch Anzeigen wegen Polizeigewalt bei der Polizei eingebracht werden müssten. Die Volksanwaltschaft ist für den AI-Chef aber keine Alternative, denn sie sei keine Anklage- und Ermittlungsbehörde.

Kickl gegen eigene Kommission

Zustimmung und Kontra gab es für den Vorstoß von Amnesty, eine unabhängige Untersuchungskommission für allfällige Polizeiübergriffe beim Justizministerium einzurichten. Der Ex-Innenminister und nunmehrige FPÖ-Klubobmann Herbert Kickl forderte Innenminister Wolfgang Peschorn auf, sich vor die Polizei zu stellen. Er vermisse „die Zurückweisung dieser Behauptungen durch die Polizeiführung und insbesondere durch den Innenminister“, so Kickl. „Eine eigene Kommission zur Untersuchung von Polizeigewalt, also quasi eine Polizei für die Polizei, braucht es dafür sicherlich nicht.“

Die Präsidentin der Staatsanwältevereinigung, Cornelia Koller, sah im Ö1-Mittagsjournal ebenfalls keinen Bedarf für eine unabhängige Kommission, „weil sehr gute Strukturen vorhanden sind, weil die Leitungsrolle bei der Staatsanwaltschaft liegt und von ihr auch wirklich ernsthaft wahrgenommen wird“. Das System gebe „alles her“, Opfer würden immer zu einer unabhängigen Prüfung kommen. Die Polizei habe auch „eigene Handlungseinheiten, die nur für interne Prüfungsaktionen zuständig sind“.

Die NEOS-Sprecherin für Inneres, Stephanie Krisper, sagte, dass es „um das Vertrauen der Bevölkerung in unseren Sicherheitsapparat und die Gefährdung des Ansehens des Amtes“ gehe, „wenn in den Fällen überschießender Polizeigewalt die Konsequenzen ausbleiben“. Die Einrichtung einer unabhängigen Untersuchungsstelle im Fall von mutmaßlicher Polizeigewalt wäre ein wichtiger Schritt. Sie kündigte einen neuerlichen Antrag in diese Richtung an.