Flyer und Aufkleber zur neuen Entstigmatisierungs-Kampagne von psychischen Erkrankungen
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Gesundheit

Wiener Kampagne gegen „Psycho-Stigma“

Psychisch krank, das sind in der Gesellschaft allzu oft „nur“ die anderen. Das führe laut Experten auch zur Unterfinanzierung der Behandlungs- und Betreuungssysteme. In Wien wurde jetzt eine neue Kampagne zur Entstigmatisierung gestartet.

„Einer der Mythen ist, dass psychische Erkrankungen ‚unheimlich selten‘ sind, die immer nur die anderen haben. Tatsächlich gibt es keine Familie, in der nicht jemand psychisch krank ist oder war“, sagte Georg Psota, Chefarzt der Psychosozialen Dienste (PSD) Wiens.

Betroffene glauben weiterhin, ihre Krankheit verstecken zu müssen. Im Endeffekt führe das Stigma, welches diese Erkrankungen umgebe, auch dazu, dass auch die Behandler und Betreuer davon betroffen seien. Und schließlich würden deshalb seit jeher auch zu wenig Ressourcen im Gesundheitswesen für diesen Bereich bereitgestellt, betonte der Experte bei der Präsentation der Kampagne „#darüberredenwir“ am Montag.

Pressekonferenz zur neuen Entstigmatisierungs-Kampagne von psychischen Erkrankungen
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Pressekonferenz zur neuen Kampagne „#darüberredenwir“

Kampagne auch im Fußballstadion

„Psychische Erkrankungen machen global 33 Prozent der Krankheiten aus“, sagte Wiens Koordinator für Psychiatrie, Sucht- und Drogenfragen, Ewald Lochner. Die Kampagne des PSD wird in der Bundeshauptstadt über ein breites Spektrum von Medien (Inserate, Social Media) und mit Kooperationspartnern umgesetzt. Vom 10. bis 23. Februar finden Aktionstage statt. Am 23. Februar wird die Kampagne auch bei einem Fußballmatch der Wiener Austria bekannt gemacht, die Städtischen Bibliotheken bereiten das Thema zum Beispiel mit Büchertischen auf.

Die meisten Stereotypen rund um psychische Erkrankungen sind schlichtweg falsch. „Wir sprechen davon, dass jeder Dritte in seinem Leben einmal an einer psychischen Erkrankung leidet“, sagte Psota. Eine Studie in Deutschland habe sogar von einer Häufigkeit des Auftretens solcher Leiden bei einem Drittel der Menschen pro Jahr gesprochen. „Psychische Erkrankungen sind auch sehr, sehr gut behandelbar“, stellte der Psychiater fest.

Gespräch mit Koordinator Ewald Lochner

„Wir haben uns die Aufgabe gestellt, ein Klima zu schaffen, dass wir in Wien über psychische Erkrankungen sprechen können“, sagt Wiens Koordinator für Psychiatrie, Sucht- und Drogenfragen, Ewald Lochner.

Das große Problem ist laut dem Experten: „Das Stigma macht es den Menschen schwieriger, rechtzeitig zu einer Therapie zu kommen.“ Das erhöhe das Risiko einer Chronifizierung solcher Krankheiten eklatant. Und da diese Krankheiten – anders als andere Leiden – oft im Jugend- oder frühen Erwachsenenalter ausbrechen, bringen eine zu späte Diagnose und eine späte Therapie die Gefahr mit sich, dass die Betroffenen für den Rest ihres Lebens an schwereren Krankheitsverläufen zu leiden haben.

Mangel an Fachärzten

Lochner räumt im „Wien heute“-Interview einen Mangel an Fachärztinnen und Ärzten, speziell im Bereich der Kinder- und Jugendpsychiatrie, ein. „Auch das ist ein Teil der strukturellen Stigmatisierung“, sagte Lochner. „Wir können möglichst alle Ausbildungsplätze ausschöpfen und auf der anderen Seite ganz klar pro Facharzt, die Anzahl der Ärztinnen und Ärzte erhöhen, die auszubildenden sind“.

Lochner verwies auf ein ein neues Ambulatorium für Kinder- und Jugendpsychiatrie, das bereits eröffnet worden ist. Derzeit sei etwa mit der österreichischen Gesundheitskasse oder der Pensionsversicherungsanstalt dabei, Verhandlungen darüber zu führen, wie ein besseres Angebot finanziert werden könne.

Isolation als Problem für Betroffene

Leonie-Rachel Soyel, eine Wiener Bloggerin, hat sich als Borderline-Syndrom-Patientin schon vor zwei Jahren zum Coming-out entschlossen und unterstützt die Kampagne: „Wie erklärt man eine Erkrankung, die man selbst so stark spürt, die aber keiner versteht?“ Sie selbst habe Freunde, Jobs und Beziehungen als Konsequenz ihrer Krankheit verloren, verstehe diese aber auch als „Superpower“. Man drifte als psychisch Kranker leider sehr leicht in die Isolation ab. Sie als Bloggerin habe aber auch erlebt, dass Kunden voll zu ihr stünden.

Alexander Bade, Sportkoordinator des FK Austria Wien, der mit seinem Verein neben vielen Institutionen und Organisationen ebenfalls hinter der Kampagne steht, fügte hinzu: „Wir haben auch eine spezielle soziale Verantwortung. Psychische Gesundheit ist im Sport extrem wichtig.“ Vor etwas mehr als zehn Jahren wurde die Öffentlichkeit durch den Suizid des deutschen Torhüters Robert Enke nach langer und aus Angst verschwiegener psychischer Erkrankung mit den Folgen der Stigmatisierung psychischer Erkrankungen drastisch konfrontiert.