Polizisten vor Ditteshof im Mai 2018
APA/Hans Punz
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Chronik

Siebenjährige ermordet: Zwölf Jahre Haft

Wegen Mordes an einer Siebenjährigen im Mai 2018 in Döbling ist ein Jugendlicher zu zwölf Jahren Haft verurteilt worden. Die Geschworenen stuften den knapp 18-Jährigen schlussendlich als zurechnungs- und schuldfähig ein. Das Urteil ist nicht rechtskräftig.

Die Geschworenen folgten mit 6:2 Stimmen den psychiatrischen Sachverständigen Peter Hofmann und Kathrin Sevecke. Sie stuften den Angeklagten als zurechnungsfähig und damit als schuldfähig ein. Bei der Strafbemessung waren die bisherige Unbescholtenheit des Angeklagten, seine geständige Verantwortung und die krankheitsbedingte Einschränkung mildernd. Der Jugendliche weist eine kombinierte Persönlichkeitsstörung auf. Erschwerend wurden die Heimtücke der Tat, die Hilf- und Wehrlosigkeit des Opfers und das „eiskalte Nachtatverhalten“ berücksichtigt. Zudem wurde der Angeklagte einen Tag vor seinem 18. Geburtstag in den Maßnahmenvollzug eingewiesen.

Verschärfte Sicherheitsvorkehrungen

Der Gerichtssaal war am letzten Verhandlungstag bis auf den letzten Platz gefüllt. Entgegen der Annahme des Landesgerichts wurde in der vom Obersten Gerichtshof (OGH) angeordneten Prozesswiederholung die Öffentlichkeit nicht ausgeschlossen. „Es ist ihm wichtig, dass alle bleiben“, teilte Verteidigerin Liane Hirschbrich nach kurzer Rücksprache mit ihrem Mandanten mit. Der 17-Jährige trug wie bereits beim ersten Prozess im Dezember 2018 eine schuss- und stichsichere Weste. Im Saal selbst hatten sich mehrere bewaffnete Sicherheitskräfte postiert, vor dem Saal war eine mobile Metallschleuse installiert worden.

Auf den mutmaßlichen Täter war nach seiner Festnahme ein Kopfgeld von 50.000 Euro ausgesetzt worden. Das Bedrohungsszenario soll auch seine Verteidigerin mitumfasst haben. „Ich hab’s getan, ich gebe es zu“, erklärte der Bursch zu Beginn der Verhandlung. Die Tat habe aber „ein anderes Ich“ begangen. Seit seinem achten Lebensjahr höre er Stimmen, sagte der 17-Jährige. Manche würden beruhigend und Rat gebend auf ihn einwirken. Es gebe aber auch imperative Stimmen. Diese hätten ihm am 11. Mai 2018 befohlen, das siebenjährige Mädchen aus der Nachbarschaft zu töten: „Weil ich es nicht tun wollte, hatte ich ein Blackout. Und dann ist es passiert.“

Altbau-, Neubau- und Gemeindebauwohnanlagen in Wien, 19. Bezirk, Gemeindebau, Ditteshof
ORF.at/Carina Kainz
Der Tatort: Der Ditteshof im 19. Bezirk

Zu der Bluttat war es in der Wohnung gekommen, in der der Jugendliche mit seinen Eltern und einem jüngeren Bruder lebte. Das Mädchen war regelmäßig zu Besuch. „Sie hat mit uns gespielt, gegessen. Ich mochte sie“, schilderte der Angeklagte den Geschworenen. Nachdem er sie getötet hatte, hatte er die Leiche in einem Müllcontainer in der Wohnhausanlage abgelegt.

OGH hob Urteil teilweise auf

Im Dezember war der Jugendliche wegen Mordes zu 13 Jahren Haft verurteilt und in den Maßnahmenvollzug eingewiesen worden. Weil zwei psychiatrische Gutachter sich nicht einig waren, ob er zurechnungsfähig und damit schuldfähig ist und das Erstgericht zur Klärung dieser Frage auf die Einholung eines Obergutachtens verzichtet hatte, hob der OGH das Urteil teilweise auf.

Der Schuldspruch wegen Mordes wurde bestätigt und ist damit in Rechtskraft erwachsen, jedoch wurden eine neue Verhandlung zur Überprüfung der Zurechnungsfähigkeit angeordnet und mit Kathrin Sevecke eine dritte psychiatrische Sachverständige bestellt.

Diese gelangte – wie bereits der Erstgutachter Peter Hofmann – zur Ansicht, dass bei dem Jugendlichen Zurechnungsfähigkeit gegeben ist. Der Sachverständige Werner Gerstl, der dagegen von einem Schuldausschließungsgrund ausging, weil der Bursch unter dem Einfluss einer inneren Stimme gehandelt habe, ist mittlerweile verstorben.

Manga-Serien als „wesentlicher Faktor“

Sevecke kommt in ihrer 150 Seiten umfassenden Expertise auch zum Schluss, dass der Jugendliche eine kombinierte Persönlichkeitsstörung mit narzisstischen und hartherzig-emotionslosen Zügen sowie Zwangsstörungen aufweise. Die inneren Stimmen seien keine Symptome für eine im Kindesalter aufgetretene Schizophrenie.

Die Gutachterin sprach von einem „imaginierten Phänomen“ und einer „fantasierten Begleitung“, die sie auf den exzessiven Medienkonsum des Burschen zurückführte, der in seiner Schulzeit oft über Stunden hinweg japanische Manga-Serien angeschaut hatte. Speziell „Death Note“ – die erklärte Lieblingsserie des Schülers – , aber auch andere Anime dürften „mit dazu geführt haben, dass er den ‚Thrill des Tötens‘ erleben wollte“.

Auch Hoffmann bekräftigte vor dem Gericht sein Gutachten, in dem er dem Angeklagten Zurechnungsfähigkeit zum Tatzeitpunkt bescheinigt hatte. Vor allem aufgrund des Nachtatverhaltens war für Hofmann „völlig eindeutig, dass er in der Lage war, das Unrecht seiner Tat zu erkennen“. Der Jugendliche hatte etwa die Leiche in den Müllraum geschafft, die Wohnung gesäubert und Spuren aus dem Abfluss in der Duschtasse beseitigt. Das „passt nicht mit einer schweren Psychose zusammen“.

Im ersten Verhör nichts von Stimmen erzählt

Koverteidiger Florian Höllwarth sprach in seinem Eröffnungsvortrag den Geschworenen die Kompetenz ab, die Frage der Zurechnungsfähigkeit entscheiden zu können, wozu diese laut Gesetz verpflichtet sind. Der Gerichtsakt enthalte insgesamt fünf psychiatrische Gutachten: „Es ist unmöglich, dass Geschworene befinden, welches Gutachten richtig ist.“ Diese könnten „rein aus der Emotion urteilen, aber sicher nicht aus dem Fachlichen“.

Höllwarth wies außerdem darauf hin, dass der damals 16-Jährige nach seiner Festnahme ohne Rechtsbeistand befragt worden sei. Das sei „ein massiver Verstoß gegen ein faires Verfahren“. Der Betroffene sei „fast noch ein Kind“ gewesen.

Auf die Frage des vorsitzenden Richters, weshalb er beim ersten Verhör nichts von den inneren Stimmen erzählt hätte, erwiderte der Angeklagte: „Weil es wichtig war und ich niemandem vertrauen konnte. Ich wollte nicht, dass man mich für krank hält.“ Bei seiner zweiten Befragung am 13. Juni 2018 hatte er dann erwähnt, eine Stimme habe ihm „die einzelnen Schritte der Tat“ befohlen.