Bildung

„Finanzführerschein“ für Wiener Schüler

Internetbestellungen, kontaktloses Bezahlen, Ratenkäufe: Durch derlei Verlockungen geraten junge Menschen oft schon am Anfang ihres Berufslebens in die Schuldenfalle. Wien will nun mit dem „Finanzführerschein“ gegensteuern.

Anhand von Modulen soll Schülern an Berufs- und Polytechnischen Schulen der verantwortungsvolle Umgang mit Geld beigebracht werden. Die Pilotphase startet am 27. Februar. Ähnliche Initiativen gibt es bereits in anderen Bundesländern wie Oberösterreich und Salzburg. In der Bundeshauptstadt will man bis zum Sommer einmal 500 Schüler erreichen.

Bis Jahresende, wenn der Testlauf endet, sollen es mindestens 1.000 sein. 16 Schulen bzw. 27 Klassen nehmen in der ersten Runde am Projekt teil. Danach soll es ausgeweitet werden. Die Zielgruppe ist durchaus groß: Insgesamt besuchen derzeit rund 25.000 junge Wienerinnen und Wiener die angesprochenen Schultypen.

Umgang mit Geld „kann man auch lernen“

Abgewickelt wird der „Finanzführerschein“ von der stadteigenen Schuldnerberatung in Kooperation mit der Arbeiterkammer (AK) und der Bildungsdirektion. „Autofahren, Schwimmen, Kochen – alles kann man lernen. Und das trifft auch auf den richtigen Umgang mit Geld zu“, zeigte sich Gudrun Steinmann, Leiterin der Finanzbildung in der Wiener Schuldnerberatung, am Freitag überzeugt. Gerade junge Menschen, die an der Schwelle zum Berufsleben stünden und ihr ersten Einkommen verdienten, verfielen oft den Verlockungen des Konsums.

 „Finanzführerschein“ soll Wiener Schülern Umgang mit Geld beibringen – im Bild: Das Logo der Aktion
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Modulare Unterrichtseinheiten vorerst an ausgewählten Berufs- und Polytechnischen Schulen als Pilotprojekt

„Dabei geht es noch gar nicht um große Kreditschulden, sondern um viele kleine Beträge, bei denen man den Überblick verliert“, erklärte Steinmann. Vermeintlich günstige Ratenverträge für das Fitnesscenter und technische Geräte, alles rund ums Handy und Onlinebestellungen, die von überall und jederzeit möglich sind, seien klassische Schuldenfallen für Jugendliche.

Kryptowährungen wie Bitcoin und Banken, die nur noch als App präsent sind, seien für Heranwachsende ebenso eine große Verlockung – ohne die Gefahren dahinter zu kennen, ergänzte Bildungsdirektor Heinrich Himmer. AK-Chefin Renate Anderl wies darauf hin, dass Berufseinsteiger üblicherweise sowieso recht wenig verdienen würden und es angesichts etwa hoher Wohnkosten ohnehin schon schwer hätten, mit ihren Einkünften ein Auslangen zu finden.

Kosten für Projekt noch unklar

Der „Finanzführerschein“ soll den Teenagern nun ein Grundwissen in Sachen Finanzen und Kontoführung vermitteln, aber auch einen kritischen Zugang zu Werbeversprechen lehren und ihnen bei der Planung größerer Anschaffungen helfen. Fünf Module zu je zwei Unterrichtseinheiten sind vorgesehen, wobei es für Poly-Schüler und erste Klassen der Berufs- und Fachschulen ein „Basic“-Programm, für die zweiten und dritten Klassen der Berufs- und Fachschulen ein „Professional“-Programm gibt.

Drei der fünf Kursmodule werden von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Schuldnerberatung durchgeführt, die restlichen zwei als E-Learning-Programme unter Anleitung der Lehrerinnen und Lehrer. Am Ende gibt es ein Zertifikat. „Uns war es wichtig, unabhängige Finanzbildung ohne Banken oder Versicherungen als Partner zu machen“, betonte Steinmann.

Sozialstadtrat Peter Hacker (SPÖ) räumte ein, dass es in Zeiten von Null-Zinsen nicht so einfach sei, Leuten das Sparen beizubringen: „Aber was man ihnen schon beibringen kann ist, was es heißt, drei oder vier Prozent Zinsen für einen Kredit zu bezahlen.“ Apropos Ausgaben: Wie viel das Projekt kostet bzw. es kosten wird, wenn man es weiter ausrollt, konnte man heute nicht beantworten. „Aber am Geld wird es nicht scheitern“, versprach Hacker.

Finanzführerschein an Schulen

An 16 Wiener Schulen startet ein ungewöhnlicher Unterricht: Es geht ums Geld. 500 Jugendliche, die ein Polytechnikum oder eine Berufsschule besuchen, werden den „Finanzführerschein“ absolvieren.

Wirtschaftskammer für eigenes Unterrichtsfach

Der „Finanzführerschein“ geht der Wiener Wirtschaftskammer nicht weit genug. Präsident Walter Ruck sah zwar einen „Schritt in die richtige Richtung“, forderte aber zugleich ein eigenes Unterrichtsfach für Wirtschafts- und Finanzwissen ab der fünften Schulstufe für alle Schultypen.

Teil davon sollte auch die Intensivierung der Kontakte zwischen Betrieben und Schulen sein, um den Bezug zur Praxis einzubringen, meinte Ruck. Wobei er auch den Bund in die Pflicht nahm, indem er darauf hinwies, dass Wirtschaftsbildung und „Financial Literacy“ (Dt.: „Finanzielle Kompetenz“) im türkis-grünen Regierungsprogramm als Bildungsziele genannt seien. Eine rasche Umsetzung sei wünschenswert.

Die ÖVP bezeichnete den „Finanzführerschein“ als „längst überfällig“. Der nicht amtsführende Stadtrat Markus Wölbitsch und Bildungssprecherin Sabine Schwarz plädierten allerdings für einen Schwerpunkt in „Entrepreneurship Education“ an allen Wiener Schulen – und zwar flächendeckend von der Volksschule bis in die Oberstufe. „Das bedeutet einen hochprofessionellen, altersadäquaten Unterricht in unternehmerischem Denken und Handeln, der die Entwicklung bestimmter Werte, Haltungen und Qualifikationen fördert, die eine neue Gründerzeit in Wien unterstützen“, umriss Wölbitsch seine Vorstellungen.

Schuldnerberatung betreute 9.273 Menschen

Ein Blick in die Statistik aus dem Vorjahr legt jedenfalls nahe, dass gerade bei Menschen mit niedrigerem Bildungsabschluss Handlungsbedarf besteht. Fast die Hälfte aller Kundinnen und Kunden der Schuldnerberatung (47,7 Prozent) hätte lediglich einen Pflichtschulabschluss.

Weitere knapp 32 Prozent haben eine Lehre abgeschlossen. Bei Menschen, die eine mittlere oder höhere Schule bzw. eine Hochschule absolviert haben, lag die Quote lediglich im – teils niederen – einstelligen Bereich. Insgesamt betreute die Schuldnerberatung Wien im vergangenen Jahr 9.273 Menschen.